Um die Jahreswende ist traditionell die Zeit der HR-Trendprognosen. Es kommt mir vor, als wenn von Jahr zu Jahr mehr Artikel über HR-Trends erscheinen. Anstatt aber meinerseits selber einen Blick in die Glaskugel zu werfen, gibt es hier nun einen zusammenfassenden Überblick über acht HR-Trendprognosen von Experten aus In- und Ausland. Soviel vorweg: Thematische Tendenzen sind klar erkennbar, DEN HR-Trend 2016 sehe ich aber eher nicht. Spannend ist der Überblick aber dennoch.
Die HR-Trendprognose ist in der heutigen Zeit ein vielgesichtiges Wesen: Es gibt keine allgemeingültige Definition und schließlich kann sich jeder wer mag zu HR-Trends äußern. Demnach ist es eine durchaus bunte Mischung von Trendartikeln, die ich mir angeschaut habe. Insgesamt habe ich acht aktuelle Quellen zu HR-Trendprognosen unter die Lupe genommen. Sie stammen von verschiedenen, bekannten deutschen HR-Blogger-Kollegen (bzw. einer Kollegin), dem Chefredakteur des Human Resource Manager Magazins und, des breiteren Blickwinkels wegen, auch von drei ausländischen, englischsprachigen HR-Quellen (alle Ursprungsartikel sind am Ende dieses Beitrages aufgelistet und verlinkt). Damit wird ein guter Querschnitt der Trendbetrachtungen hergestellt, obwohl natürlich kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht. Auch die Vergleichbarkeit der Trendaussagen aus diesen acht Quellen ist natürlich nur eingeschränkt gegeben, da sie zum Teil unterschiedliche Voraussetzungen erfüllen: Es wurden von den Autoren unterschiedliche Foki bei Ihren Prognosen angelegt (von HR allgemein bis hin zu speziellen Social Recruiting Trends), die Erklärungs- und Begründungsintensität je Artikel war recht unterschiedlich und hier und da kann auch Wunschdenken eines Autors nicht ausgeschlossen werden. Gerade aber wegen dieser Unterschiedlichkeiten ist meiner Ansicht nach die hier nachfolgend dargestellte, zusammenfassende und verdichtete Betrachtungsweise besonders spannend und macht einen erweiterten Überblick möglich.
Vorgehensweise:
Meine Untersuchung bestand aus drei Teilen: Mein erstes Interesse galt der Frage, welche Trends oder Trendbegriffe besonders häufig auftauchen. Dazu habe ich mir die Beiträge angeschaut und stichwortartig bzw. in Kurzstatements die wesentlichen Trendnennungen und –begründungen notiert, dabei aber weitgehend die original Worte und Begriffe aus den Ursprungsartikeln beibehalten. Aus dieser ersten Verdichtung habe ich dann in einem nächsten Schritt eine Wordcloud erstellt, also eine Wortlandkarte, welche die häufigeren genutzten Begriffe größer und die seltener verwendeten Begriffe kleiner darstellt. Diese Heuristik ist der erste Zugang, um auf einen Blick zu erkennen, welche HR-Terminologie uns vermutlich in 2016 häufiger begegnen wird. Diese Wordcloud ist hier im Anschluss zu sehen.
Mein zweiter Blick soll die helfen die inhaltliche Gewichtung der Trendnennungen besser zu verstehen. Damit ist gemeint, dass sich manche Autoren über die Bedeutungsschwere einzelner Trends äußern, im Sinne von „…besonders wichtig wird sein…“ oder auch einzelne Trendaspekte anderen, größeren Trends direkt oder indirekt beiordnen. Diese artikulierten Bedeutungen einzelner Trendaussagen und erkennbare Wiederholungen zu Trendaspekten durch ein und denselben Autor, aber vor allem durch deren Bestätigung durch einen anderen der acht Autoren, waren mir qualitativer Kompass für die Liste Trend-Tops.
Als dritte Betrachtung zu den HR-Trends 2016 interessierte mich, worin man den Auslöser oder Treiber in jeder der 54 einzelnen Trendnennungen aus den insgesamt acht Prognosen sehen könnte. Diese Treiberanalyse stellt also implizit die Frage woraus sich (vermutlich) eine Trendaussage am allermeisten begründen lässt. Kommt der Impuls am stärksten aus Technologie, Kultur, Organisation oder einem sonstigen Bereich? Dieses vereinfachte Cluster ist meine ganz persönliche Einschätzung und damit vermutlich die subjektivste, aber auch – wie ich finde – spannendste Betrachtungsdimension.
Zum besseren Verständnis hier die Kurzerklärung zu den drei Treiber-Clustern:
Technologie: Der Trend wird vor allem technologisch angestoßen und/ oder durch technische Umsetzung in Handlungen übersetzt werden.
Kultur: Der Trend ist begründet in einem Wandel der Betrachtungsweise bzw. treibt die Umsetzung durch (neue/ andere) Erklärungsmuster zu neuen Rollenmustern voran.
Organisation: Der Trend wird seine Energie insbesondere durch einen Wandel oder Re-Setting von Aufgaben, Prozessen und/ oder Schnittstellen bekommen.
Sonstiges: Alle Trendprognosen, welche unter den genannten drei Hauptkategorien nicht deutlich genug zuordenbar waren.
Ergebnisse: HR-Trendprogonosen 2016 zusammengefasst
1) Heuristik der Trendbegriffe (Wordcloud)
Hier die aus insgesamt 54 Trendaussagen von acht HR-Trendvoraussagen generierte Wordcloud. Je häufiger die Nennungen, desto größer die Darstellung des Begriffes in der Wortwolke. Werden dies die HR-Trendworte des Jahres werden?
2) Versuch der inhaltlichen Trendgewichtung
Das Ergebnis meines Ansatzes den Aussagen der Prognosegeber eine inhaltliche Bedeutungsschwere zu geben und darüber zu herauszuarbeiten, welche Trends besonders stark in den Prognosen durchdringen. Der Unterschied zur Wortwolken-Technik als der Betrachtung oben ist es, dass die Wortwolke die Begriffe schlicht auszählt und dadurch rankt, während ich hier subjektiv und aus meinem Expertenblickwinkel die Trendaussagen der Kollegen interpretiert habe. In der Wissenschaft spricht man bei einem solchen Ansatz von Hermeneutik, an welche ich mich hier freimütig und subjektiv anlehne.
Die inhaltlich kräftigsten Trends sind nach dieser Betrachtung, alle jene Aktivitäten und vielfältige Beschäftigungen mit:
– People Analytics (auch als Ausdruck des Wunsches nach Performance-Klarheit)
– Active Sourcing
– Agilität in Denken und Arbeitsweisen
– Digitalisierung
– Employer Branding (in diversen Spielarten = diffusestes Trendschwergewicht)
Diese scharf verkürzte Liste zeigt, dass es wohl eher keine wirklich neue Aussage unter den Trendprognoseschwergewichten (was ein Wort!) gibt. Anfangen von People Analytics (samt Spielarten Big Data und Predictive- und Web-Analytics) über den Dauerbrenner Active Sourcing bis zur Digitalisierung haben wir alles bereits – auch deutlich wahrnehmbar – schon gehabt. Dieses Ergebnis ist für mich ein Zeichen dafür, dass diese Trendprognosen vermutlich recht nah an den wirklichen Trends liegen, denn kurzfristiges würde eher eine Mode darstellen und demnach nicht beharrlich immer wieder auf solchen Listen auftauchen.
Noch ein Wort zu einigen hier in der Liste nicht explizit genannten und auch in der Wordcloud eher gering sichtbaren Stichworten, die dennoch zumindest in den letzten zwei Jahren recht viel in der HR-Debatte vertreten gewesen sind. Gemeint sind hier bspw. Candidate Experience, Unternehmenskultur oder Mobile Recruiting. Konkret tauchen diese drei Aspekte auch in den Nennungen unserer Trendprognostiker auf und ich vermute, dass sie wichtig bleiben werden. Jedoch auf anderen Ebenen: Mobile Recruiting zum Beispiel ist vom Trend zur Verpflichtung geworden und daher hier unter den Trendnennungen deutlicher weniger präsent. Es wird de facto erwartet. Punkt.
Candidate Experience taucht unter den Nennungen ebenso noch auf, doch ist der Neuheitswert, sprich die Erkenntnis, dass es so ein immanent wichtiges Thema ist nicht mehr gegeben. Anders gesprochen es geht immer mehr in die Arbeitsebenen anderer Trends ein. Bspw. ist es ein Kriterium der Employer Branding Arbeit oder es ist eine bedeutende Größe beim erfolgreichen Active Sourcing. Damit bleibt uns das Thema Candidate Experience erhalten, kommt aber nun gewissermaßen durch die Hintertür.
Unternehmenskultur schließlich ist ein solches Megathema mit so vielen möglichen Spielarten, dass es mich ehrlich gesagt nicht überrascht, dass es hier nicht als Einzeltrend auftaucht, ist es doch häufig genug der Kern einer Sache, nur dass ein anderes, passenderes Etikett draufgeklebt wird. Wir sehen die teilweise Durchdringung der Trendthemen durch Kultur auch gleich in der Treiberanalyse.
3) Treiberanalyse
Ich habe in diesem Teil der Trendanalyse versucht jede der 54 Trendnennungen aus den acht Quellen einer oder mehrere der folgenden Kategorien zuzuordnen: Technologie, Kultur, Organisation, Sonstiges.
Ausschlaggebend für die Zuordnung war dabei ist aus meiner Sicht der oder die vermutlich am stärksten für einen Trend verantwortliche Antreiberdimension. Während einige Trendaussagen sehr deutlich und damit recht einfach einzuordnen waren, musste ich bei einigen anderen Statements auf meine Intuition und Interpretation setzen. Damit sind ein paar Verzerrungen nicht auszuschließen, da ich die Autoren dazu im Einzelnen nicht befragen konnte. Dennoch zeigt sich, dass zwei Treiber besonders stark hervortreten:
Technologie (27 Zuordnungen) und Organisation (25 Zuordnungen).
Damit lässt sich sagen, dass die größte Zahl der Trendprognosen (und mehr wurde hier nicht untersucht) sich aus technologischen Impulsen heraus speist. Auch dies ist meiner Wahrnehmung nach eine Fortschreibung der letzten Jahre, wo viele HR-Trends technikaffin bzw. technikgetrieben waren. Aber auch Organisation, also der Antrieb durch einen Wandel oder ein Re-Setting von Aufgaben, Prozessen und/ oder Schnittstellen, kann für viele Trends als Treiber oder Co-Treiber gesehen werden. Der Kulturtreiber steht mengenmäßig etwas zurück, spielt nach meiner Einschätzung aber da wo er verantwortlich gemacht werden kann für einen Trend eine besonders nachhaltige Rolle bzw. ergänzt und vervollständigt zum Teil auch technologische Treiber bei umfangreicheren Trends, z.B. Digitalisierung.
Hier die Übersicht der Treiberanalyse mit der Anzahl der Treiberzuordnungen zu den drei Clustern und der Kategorie Sonstiges:
Ich hoffe es hat ein wenig Spaß gemacht diese Zusammenfassung zu lesen. Letztlich werden wir frühestens im Spätherbst 2016 bewerten können, welche der Trendprognosen richtig lagen und welche sich nur als Mode oder gar als Wunschdenken einzelner gezeigt haben. Es bleibt spannend!
Quellen:
Im Detail bezog ich mich bei der vorliegenden HR-Trendanalyse auf folgende Quellen:
Der Beitrag aus der englischsprachigen HR-Community-Seite humanresourcesonline.net
10 disruptive HR tech trends to look out for in 2016
Barbara Braehmer
Die 7 zentralen Social Recruiting Trends 2016
Trendbericht im t3n-Magazin: Zu Recruiting-Trends kommt hier Jan Kirchner zu Wort.
Mega-Trends 2016 – 12 Experten und ihre Prognosen fürs neue Jahr.
Marcus K. Reif
Mein Blick auf 2016
HRM Magazin-Chefredakteur Jan C. Weilbacher
So wird die Arbeitswelt 2016
HR Trendprognose aus gleichnamigen HR-Trend Institute in den Niederlanden:
11 HR Trends for 2016
Robindro Ullah
Trends und Visionen 2016 – meine TOP 3
Aus dem United Kingdom der HR Grapevine Blog:
4 Recruitment technology trends for 2016
Candidate Experience (oder übergeordnet Employer Branding) halte ich für absolut wichtig, denn auch in diesem Jahr werden die meisten Unternehmen eher weniger als mehr Bewerbungen von qualifizierten Fachkräften erhalten. Leider hat in einigen Branchen da noch kein Umdenken stattgefunden. Wie viele Mittelständler aus der Industrie haben einen unzureichenden Internetauftritt oder geschweige denn überhaupt eine Karriereseite? Dabei bieten gerade diese Arbeitgeber häufig nicht nur ein ordentliches Gehalt, sondern auch flexible Arbeitszeiten und andere Annehmlichkeiten für ihre Mitarbeiter. Da das aber nicht „nach außen“ getragen wird, bleiben solche Unternehmen ein Geheimtipp. Das hört sich zwar toll an, schadet aber dem Wachstum und der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens. Ich sehe hier noch sehr viel Handlungsbedarf!
Hallo zusammen,
sehe das wie Florian.
Ich sehe (ganz subjektiv) in der Wortwolke, dass es in erster Linie um Verwaltung und Ablauf-Organisation geht. HR als Sach-Bearbeitung: HR, Performace, Management, Analytics, Systems, Digitalisierung, … Konkrete Begriffe wie Karriereseite, Facebook, Blog sehe ich nicht.
Alles, was den Kandidaten angeht, also die Beziehungs-Ebene, ist ‚klein geschrieben‘: CandEx, Kandidaten, Bedürfnisse, Interaktion, Mitarbeiterbedürfnisse, Kommunikation, Sinnstiftung, …
Das sind die Punkte, über die Personaler und Unternehmen seit Jahren weltweit sprechen und HR in die Sinnkrise gebracht haben. Ich erkenne nach wie vor keinen Willen, das grundlegend zu ändern. Außer: HR noch effektiver (aber wohl kaum effizienter) zu organisieren.
Jeden Freitag nur einen Excel-Bericht an den Personalleiter zu schicken, kann nicht Sinn und Zweck von HR sein.
Beziehungen aufbauen.
In der Mitarbeitergewinnung geht das nur, wenn Recruiting endlich wieder von den Teams gemacht wird, die den Mitarbeiter suchen und mit ihm arbeiten und seine Ergebnisse verantworten müssen. Gruß an Henrik Zaborowski und Martin Gaedt ;-)
Frohes neues jaHR.
Hans
Ich sehe das ebenfalls wie Florian. Da besteht nicht nicht nur Handlungsbedarf auf Seite der HR, allein der Begriff macht den Menschen schon zur „Sache“….
Die kleinen und mittelständischen Unternehmen ohne oder mit veraltetem Internetauftritt haben zwar bedarf an Fachkräften, investieren aber entweder in die falsche Lösung dazu oder hoffen eben auf Recruiter, die ihnen die Fachkräfte organisieren.
Ein besserer Auftritt im Web, wie Florian sagt, eine Karriereseite, aber vor allem Zusammenarbeit ist wichtig. Zusammenarbeit mit HR, mit den Fachkraften ist oberstes Gebot. Ich bin gespannt, was sich dieses Jahr noch alles tun wird und muss, auch in der Recruiting Branche.
Grüße und ein frohes Neues,
Stefan