Endlich: Die Zeit nach dem Shutdown kommt! Zwar sind je Bundesland in Teilen unterschiedliche Einzelregelungen am Werk, doch in Summe beginnt nun eine neue Phase im Umgang mit der Coronakrise. Der Betrieb in vielen Unternehmen wird sich einem Normalzustand nähern, auch wenn sicher nicht die Vor-Corona-Normalität erreicht wird. Allein das weiter bestehende Social Distancing setzt hier Grenzen.
Für die Unternehmen ist dieser Re-Start trotz gewissen Einschränkungen enorm wichtig. Der Ausblick auf die wirtschaftlichen Schäden ist auch jetzt schon groß genug. Im Big Picture geht es um eine Wiederbelebung des Wirtschaftslebens. In den einzelnen Unternehmen heißt es den Übergang aus der Quarantäne-Phase in eine neue Normalität zu moderieren und zu organisieren. Hier liegt viel Verantwortung bei den Personalbereichen. Das ist eine Riesenchance für HR! Wo und wie HR dabei punkten kann, erläutere ich an acht Aspekten:
1) First things first: Geschäftsfähigkeit – nur über HR
Die Wiederherstellung eines betrieblichen Alltags in Koexistenz mit der COVID-19-Herausforderung geht nicht ohne Regeln. Hier sind Personalbereiche in Zusammenarbeit mit Geschäftsführung und ggf. Betriebs- oder Personalräten gefordert. Sie legen die wesentlichen Bestimmungen fest und sorgen für die Umsetzung von behördlichen Vorgaben. Es gibt viel zu tun: Wie können die Büroräume so belegt werden, dass den Hygienestandards entsprochen wird? Wie viele Mitarbeiter kehren direkt in die Büros zurück und welche? Wird rotiert? Wenn ja: In welchen Intervallen und bei welchen Teams? Solche und andere Fragen müssen schnell und eindeutig beantwortet, Lösungen entwickelt und kommuniziert werden. Hier kann und muss HR unternehmensweite Verantwortung übernehmen und wichtige Signale für die Erhaltung der Produktivität im Unternehmen setzen. Dazu sollte HR die zentrale Instanz für Corona-Fragen im Unternehmen werden: Die Abschätzung von Corona-Folgen, die Information zu betrieblichen Corona-Vorgaben und die Planung und Umsetzung von entsprechenden Maßnahmen. HR ist angehalten zum unternehmensinternen „Corona-Experten“ zu werden. Ein entsprechender Info- und News-Stream zum Thema hilft HR in diese Rolle erfolgreich auszufüllen. Dafür ist mir diese Webseite des Haufe Verlags mit stets aktuellen Informationen zur Coronakrise und ihre Auswirkungen aufs Unternehmen aufgefallen.
2) Kurzarbeit und Alternativen zu Entlassungen
Das Instrument der Kurzarbeit ist ein Erfolgsmodell in der Krise. In den Medien kursierte Ende April 2020 die Zahl von aktuell ca. 10 Millionen Betroffenen in Deutschland. Das klingt dramatisch, bedeutet aber auch, dass vermutlich viele Arbeitsplätze erhalten bleiben können. Kurzarbeit ist gestaltbar. D.h. der Umfang der Kurzarbeit kann definiert werden. Mitarbeiter können z.B. nur zu 50% in Kurzarbeit gehen, aber zu 50% weiterarbeiten. Von den entsprechenden Entlastungen bei den Gehaltskosten profitiert natürlich der Arbeitgeber. Die Mitarbeiter ihrerseits verlieren in solchen Konstellationen weder den kompletten Anschluss an den Betrieb, noch sind ihre Gehaltseinbußen so hoch. So hilft Kurzarbeit beiden Seiten. Ein wichtiges und wesentliches Werkzeug für die Krisenbewältigung. In vielen Fällen wurde das Instrument bereits in der akuten Phase von Corona eingesetzt. Doch nun wird es jetzt die Aufgabe von HR sein in Abstimmung mit der Geschäftsführung die Bemessung der Kurzarbeit neu zu bestimmen. Wer kann wie und wann zurück in den Betrieb geführt werden usw. Hier finden sich übrigens viele hilfreiche Hinweise zum Thema Kurzarbeit und Corona und hier ebenfalls mit Fokus auf den Mittelstand.
3) Die Situation für die Digitalisierung nutzen
Noch nie hat eine Situation uns so eindringlich vor Augen geführt, wie wichtig und wie nützlich digitalisierte Geschäftsprozesse sind, wie es in der akuten Phase der Coronakrise der Fall war. Die Personalbereiche und insbesondere die Recruiting-Teams, haben in sehr vielen Fällen schnell und pragmatisch reagiert. In unzähligen Fällen wurde auf Live-Video-Interviews mit den Kandidaten umgestellt. Die Erfahrungen damit sind ganz überwiegend positiv. Das ist nur ein Beispiel für die gewissermaßen ad hoc Digitalisierung. Digitaler Pragmatismus war angesichts der Quarantäne und der Homeoffice-Situation vieler Beschäftigter angebracht. Die Reichsbedenkenträger in den Unternehmen hatten weitgehend Pause. Jetzt beim Re-Start ins „neue Normal“ ist es die ungeheure Chance für die HR-Bereiche diese positiven Erfahrungen der pragmatisch-digitalen Varianten in dauerhafte Lösungen zu überführen. Im Zweifel dürfen dabei auch die Prozesse gleich noch besser und schlanker werden. Mal zu Recht, mal zu Unrecht steht HR häufig in dem Ruf zu wenig innovativ und zu stark in verwaltender Rolle zu sein. Nun ergibt sich hier eine Riesenchance die Learnings aus der aktuellen Situation zu nutzen und bewusst digital voran zu gehen. Im Zweifel sollten sich Personalabteilungen hier selber unterstützen lassen. Denn hier gilt: Wo nun in Fragen der (HR-)Digitalisierung gehandelt wird, wird es dem internen Standing von HR über die Krise hinaus helfen!
4) Andere Zusammenarbeit dauerhaft ermöglichen
Eine wesentliche Erfahrung während der akuten Krisenwochen war es für viele, dass Zusammenarbeit über Distanz unerwartet gut funktioniert. Homeoffice mag seine Tücken haben, die Arbeit aber lief weiter. Nicht wenige Personaler mit den ich inzwischen gesprochen habe, sagten mir sogar, dass die Produktivität im Homeoffice eher gestiegen sei und Entscheidungen schneller fallen würden (Video-Konferenzen befördern Rededisziplin…). Die Personalabteilung kann in Folge dieser guten Erfahrungen nun dafür sorgen, dass hieran auch in der Post-Quarantänezeit angeknüpft wird. Insbesondere bei den vielen eigenen Schnittstellen zu anderen Teams und den Fachbereichen sollte HR hier Frontrunner sein. In Verbindung mit weiterer Digitalisierung (siehe Nr.3) eine wichtige Initiative. Sie sollte unbedingt von HR ausgehen.
5) Kulturellen Change moderieren und Führungskräfte begleiten
Ein positives Abfallprodukt der Quarantäne-Zeit und der intensiven Homeoffice-Phase ist, dass ein gesteigertes Maß an Vertrauen seitens des Managements in die Belegschaften gelegt werden musste. Ohne Vertrauen kein Remote-Working. Dies führt unweigerlich auch zu einem kulturellen Change, der in vielen Fällen ungeplant sein dürfte. Ein zurück zum ursprünglichen Setting dürfte es kaum geben. Führungskräfte sollten daher von HR begleitet und beraten werden: Wie kann Remote Leadership noch besser umgesetzt werden? Wie können neue Anforderungen der Mitarbeiter an ihre Führungskräfte, die unter dem Eindruck der Quarantäne-Zeit entstanden sind, produktiv in der Zukunft auffangen und bedient werden? Ebenso ist seitens HR die Frage am besten zu klären, welche Anforderungen eine größere Selbständigkeit der eigenen Mitarbeiter an bestehende und zukünftig Führungskräfte formuliert. Wie sehr muss Führung neu gedacht und neu von HR begleitet werden? Suchen wir noch dieselben Führungskräfte wie vor der Krise? Hier kann die Beratungsfunktion der Personaler zentral zum Tragen kommen: HR als der Sparrings-Partner für Führungskräfte und Geschäftsführung.
6) Nicht aus den Augen verlieren: Arbeitgeberattraktivität und Image
Die Krise wird viele Unternehmen durchschütteln und ein paar werden es leider auch nicht schaffen. Für die Mehrzahl der Arbeitgeber aber wird es ein „nach der Krise“ geben. Damit wird auch das eigene Verhalten in der Coronakrise Teil der Geschichte dieses Arbeitgebers. Bewerber werden sich darüber informieren können, Kunden genauso. Hier also sind Aspekte wie Arbeitgeberattraktivität und Image im Blick zu behalten. Wer in der Krise entgegen der eigenen Arbeitgeberversprechen handelt und seine Markenwerte völlig verbiegt, wird später im Zweifel darunter leiden. Auch wenn die Arbeitslosigkeit in der Breite steigen und manche Jobprofile zukünftig wieder mehr auf dem Markt sein dürften, werden hochqualifizierte Jobprofile auch dann am Bewerbermarkt umkämpft bleiben. Daher hat HR zusammen mit den Kollegen aus der Unternehmenskommunikation die Aufgabe die Employer Brand-Perspektive im Blick zu behalten. Wenn Geschäftsführungen verständlicherweise „auf Sicht fahren“ ist eine beratende Funktion von HR auch unter dem Arbeitgebermarkenaspekt sehr wichtig. Wir wissen ja: Das Internet vergisst nicht, siehe kununu & Co…
7) Lernen und Onboarding
Die Vorgabe des Social Distancing hat zu einer Vollbremsung bei klassischen Seminaren geführt. Dafür sind eLearning- und Webinarformate in großem Maße in die Bresche gesprungen. Die operative Personalentwicklung noch mehr auf diese Situation einzustellen ist absolut ratsam, da vermutlich bis Herbst 2020 oder ggf. noch länger entsprechende Einschränkungen bestehen. Während aber Weiterbildungen von bestehenden Mitarbeitern im Zweifel ggf. verschoben werden können, ist das Onboarding und die Einarbeitung neuer Kolleginnen und Kollegen eine zeitkritische Notwendigkeit. Auch hier macht es Sinn sich mit digitaler Unterstützung zu rüsten. HR kann die passenden Vorgaben zusammen mit den Fachbereichen definieren. Digitale Onboarding-Helfer ermöglichen die Einführung neuer Mitarbeiter auch weitgehend remote. HR kann hierzu den Anstoß geben oder im Auftrag der Fachbereiche einen unternehmensweiten Prozess organisieren.
8) Für eine gute Trennungskultur sorgen
Der erste und der letzte Eindruck sind bekanntermaßen besonders prägend. Dies gilt auch für die Zeit von Mitarbeitern bei Arbeitgebern. Da absehbar die Krise trotz Kurzarbeit und aller Hilfen Arbeitsplätze kosten wird, kann Arbeitgebern nur geraten werden bei Trennungen Augenmaß und Anstand zu wahren. HR hat hierfür idealerweise bereits einen internen „Trennungs-Knigge“ vorbereitet und sensibilisiert auch die Geschäftsführung proaktiv. Exit Interviews gehören hier idealerweise mit ins Programm. Auch wenn das Thema Personalabbau kein erfreuliches ist, wird doch eine proaktives HR-Abteilung nachhaltig wertschöpfend tätig, wenn hier richtig und frühzeitig gehandelt wird.