Exit Interviews – ein Leitfaden: Verstehen warum Mitarbeiter gehen und final eine gute Employee Experience vermitteln

Nahezu jeder Einstellung geht ein Bewerberinterview voraus. Nicht selten sogar mehrere mit verschiedenen Gesprächspartnern. Bevor jemand ins Unternehmen geholt wird, tauscht man sich aus, lernt sich kennen, schätzt sich gegenseitig ab. Soweit, so normal. Umso interessanter ist es, dass Austrittsgespräche mit Mitarbeitern, die den Arbeitgeber verlassen, nicht der Standard sind.

In meiner langen Beratungspraxis sind mir nur sehr wenige Organisationen begegnet, welche konsequent Exit Interviews führen und daraus lernen. Das ist sehr schade, denn diese Gespräche bieten große Chancen. In diesem Beitrag geht es darum, weshalb solche Austrittsgespräche sinnvoll sind, wie sie umgesetzt werden können und welche Themen sich dabei anbieten. Auch wann diese Gespräche geführt werden sollten und wer unternehmensseitig in der Verantwortung steht wird erörtert.

Zu Karrierewegen gehört mittlerweile ganz selbstverständlich der Wechsel des Arbeitgebers. Meist ist es im Arbeitgeberinteresse seine Beschäftigten möglichst lange zu halten. Doch trotz aller positiver Mitarbeiterbindungsmaßnahmen sind Abgänge letztlich überall Normalität. Aus diesem Umstand können Unternehmen einiges an Wissen generieren. Wer als Arbeitgeber strukturierte und professionelle Austrittsgespräche als Regelprozess etabliert, kann seinen bald Ex-Mitarbeitern nicht nur eine letzte besondere Wertschätzung mitgeben, sondern auch reichlich wertvolle Informationen entlocken. Davon kann sogar die eigene Personalgewinnung profitieren.

Warum Trennungsgespräche wichtig sind
Werden Exit Interviews geführt, erschließen sich dem Arbeitgeber Einsichten, die sonst verborgen geblieben wären oder ggf. nachträglich – und nicht immer positiv – auf kununu landen. Diese Informationen können dabei helfen andere Mitarbeiter länger zu halten. Sie bieten die Chance einen unverstellten, regelmäßigen Blick auf die erlebte Arbeitgeberattraktivität der eigenen Organisation zu erhalten. Insbesondere wenn Mitarbeiter vermehrt weg gehen ist es wichtig zu verstehen weshalb diese das tun. Nur eine strukturierte und idealerweise unternehmensweite Umsetzung der Austrittsgespräch stellt sicher, dass die gewonnenen Einsichten auch für entsprechende Handlungen genutzt werden können. Konkrete Informationen zu Employee Experience, Arbeitssituation, Karriereerwartungen, Führung oder Bezahlung können entscheidende Hinweise für passende Maßnahmen sein. Hier liegen verborgene Wissensschätze mit denen greifbares Arbeitnehmerhandeln nach innen oder auch ein zielführendes und glaubwürdiges Erwartungsmanagement nach außen, d.h. gegenüber Bewerbern, betrieben werden kann.

Wie man Exit Interviews umsetzt: Zeitpunkt und Rahmen
Ein Austrittsdialog ist kein typisches Mitarbeiter- oder Feedbackgespräch. Es macht demnach erst Sinn es zu führen wenn der Mitarbeiter definitiv entschieden hat zu gehen und die Kündigung bereits eingereicht wurde. Gegebenenfalls wurde sogar schon das Arbeitszeugnis erstellt. Nach diesem Zeitpunkt sollte der Exit Interview-Prozess einsetzen. Je klarer die Fronten, desto besser die Chancen für ein ehrliches Feedback. Entsprechend ist ein Austrittsgespräch auch kein Versuch die Person umzustimmen. Wertschätzung zu zeigen bedeutet die getroffene Entscheidung anzunehmen und zu respektieren. Besser sogar: Stellen Sie klar, dass die Person in der Zukunft wieder willkommen wäre (sofern das bei diesem Menschen wünschenswert erscheint). Hier können Sie den Grundstein für eine gute Alumni-Beziehung legen. Möglicherweise wird dem austretenden Mitarbeiter so überhaupt erst richtig bewusst, dass es eine Rückkehr-Option geben kann. Aber, wie gesagt, versuchen Sie nicht zu argumentieren und den Job neu zu verkaufen. Solches Verhalten erzeugt tendenziell Druck und entzieht durch die Verneinung der Entscheidung die Wertschätzung für den Anderen. Einen solchen Rahmen brauchen sie für diese Art Gespräch keinesfalls. Im Gegenteil: Je offener und wertschätzender das Gespräch abläuft, desto höher wird die Neigung des Mitarbeiters sein, Informationen zu teilen und seinem Noch-Arbeitgeber zu helfen. Der Arbeitgebervertreter ist angehalten im Gespräch selbst weniger zu reden, sondern mehr zuhören. Dabei ist es wichtig auch im Fall von Vorwürfen oder Anklagen nicht in eine bewertende oder abwehrende Haltung zu fallen.
Noch ein Satz zum formellen Rahmen: Selbstredend sollte ein solches Gespräch ohne Zeitdruck und in einer vertraulichen Atmosphäre geführt werden. Wenn arbeitgeberseitig Aufzeichnungen gemacht werden – was dringend anzuraten ist – sollte der Gesprächspartner über Sinn und Zweck aufgeklärt werden. Ebenso sollten sie sich im Namen des Arbeitgebers bei dem Kollegen ausdrücklich bedanken:  Für die im Unternehmen geleistete Arbeit genauso wie für die Mitwirkung im Austrittgespräch selbst. Gute Kinderstube eben.

Wie man Exit Interviews umsetzt: Gesprächsführung und Gesprächsthemen
Wie zuvor bereits angeklungen ist, profitieren Arbeitgeber am stärksten von Exit Interviews, wenn diese strukturiert und nach einem wiederkehrenden Schema geführt werden. Dazu ist ein Leitfaden zur Gesprächsführung sinnvoll. Offen bleibt, ob eine solche Anleitung jede Frage im Detail vorgibt oder nur wenige Standardfragen aufzählt und ansonsten eher die inhaltliche Ausrichtung des Gespräches strukturiert, sprich Themen absteckt, die angesprochen werden sollen. Wie immer das Gespräch vorstrukturiert ist: Es obliegt letztlich der Kompetenz der Gesprächsführenden trotz aller Standards eine angenehme und freundliche Atmosphäre zu schaffen. Hier berühren sich gelungene Exit Interviews und Bewerberinterviews: Beide leben davon auf den Menschen eingehen zu können und dennoch vorher festgelegte Themen gezielt anzusprechen.

Kommen wir zu den Themen für das Gespräch. Hier sind weite Möglichkeiten gegeben und grundsätzlich sind der Fantasie wenig Grenzen gesetzt. Es macht selbstredend Sinn die Themen punktuell je nach Jobprofil oder Branche des Arbeitgebers abzustimmen. Dieses Feintuning ignoriere ich hier und beschränke mich auf diejenigen Themen bzw. Fragen, welche in einem Austrittsgespräch mit ziemlicher Sicherheit interessant sind:

  • Zufriedenheit mit den Aufgaben im Job
  • Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz, der Ausstattung etc.
  • Zufriedenheit mit / Erleben der direkten Führungskraft (Wertschätzung)
  • Zufriedenheit mit dem Team / Stimmung im Team
  • Karrierepläne / Karriereziele
  • Aspekte die am Arbeitgeber gefallen haben
  • Aspekte die am Arbeitgeber eher nicht gefallen haben
  • Beurteilung von konkreten Arbeitgeberangeboten (Benefits, welche wurden wahrgenommen, welche werden wie beurteilt)
  • Job-Match vs. Erwartungen bei Job-Beginn (wie sehr hat der reale Job die zuvor getätigten Erwartungen getroffen)
  • Haltung zum Arbeitgeber: Würde die Person das Unternehmen an Freunde empfehlen
  • Wie könnte die eigene Arbeit effektiver werden
  • Rat an den Nachfolger auf der Position
  • Wo geht der MA jetzt hin, wie hat er den neuen Job gefunden

Wer Exit Interviews führen sollte
Es kommen arbeitgeberseitig grundsätzlich drei Personengruppen in Frage ein Austrittsgespräch zu führen: Fachvorgesetzte, Personaler oder sog. Vertrauenspersonen (Personal- oder Betriebsrat). Ich habe dazu eine klare Meinung: Wann immer möglich sollte ein Mitarbeiter aus dem Personalbereich das Exit Gespräch führen. Allerdings gibt es Ausnahmen. Ich werde das gleich begründen. Zuvor ein paar Worte zu den Fachvorgesetzten bzw. den sog. Vertrauenspersonen und wieso sie in der Regel eher nicht geeignet sind:

Der direkte Fachvorgesetzte ist fachlich am nächsten dran am Mitarbeiter. Allerdings kann sein (oder ihr) Verhalten gegenüber dem betreffenden Mitarbeiter mit daran Schuld sein, dass die Person das Unternehmen verlassen wird. Kein ganz ungewöhnlicher Vorgang. Das geflügelte Wort wonach „Mitarbeiter wegen der Firma kommen, wegen der Aufgabe bleiben und wegen der direkten Führungskraft gehen“ illustriert das gut. Der direkte Vorgesetzte ist also unter Umständen befangen bzw. nicht die optimale Person für das Exit Interview. Das dann mit der Führungskraft über der Führungskraft? Auch hier besteht oft noch ein fachlicher Bezug. Die Chef-Chef-Lösung ist jedoch ebenfalls keine gelungene. Die Distanz zum Arbeitsalltag ist ggf. doch zu groß um den potenziellen fachlichen Vorteil ausspielen zu können. Noch gewichtiger ist aber die Problematik, dass der gehende Mitarbeiter ggf. in einem solchen Gespräch in ein Loyalitätsproblem kommen kann. Wer weiß, ob der Chef-Chef nicht die Gesprächsinformationen zu Ungunsten des direkten Vorgesetzen wendet?
Eine konkrete Ausnahme in Bezug auf das Wahrnehmen der Austrittsgespräche durch Führungskräfte machen: In kleinen, inhabergeführten Unternehmen, wo es maximal eine Führungsebene bis zum Geschäftsführer/ Inhaber gibt, sollte jener das Gespräch selber suchen. Wieso? Einerseits dürfte der Aufwand für den Geschäftsführer bei kleinen Unternehmen eher überschaubar sein. Schlicht qua Mitarbeiteranzahl gibt es hoffentlich eher wenige Abgänge. Andererseits sind gerade solche KMU-Strukturen meist maximal von dem Inhaber bzw. den Inhabern geprägt. Hier zählt das Argument Wertschätzung gegenüber dem Mitarbeiter, welche durch das persönliche Wahrnehmen des Gespräches durch den Inhaber (ggf. flankiert von einer weiteren Person) gezeigt wird.

Die sog. Vertrauenspersonen im Unternehmen, also Betriebs- oder Personalräte, in Ausnahmefällen auch „Feelgood“-Manager oder ähnliche Rollen, kämen auch in Betracht das Exit Gespräch zu führen. Hier sehe ich – Ausnahmen mag es geben – jedoch weder die fachliche Nähe zur Tätigkeit des gehenden Mitarbeiters, noch zwingend einen persönlichen Bezugspunkt. Betriebsräte sind außerdem auch immer ein politischer Faktor im Unternehmen, weshalb hier ebenso die Gefahr bestünde, dass Information seitens des Exit-Kandidaten zurückgehalten würden oder besonders dick aufgetragen werden. Außerdem sind diese allgemeinen Funktionsträger meist nicht die idealen Stakeholder für die produktive Verwertung der Insights aus den Exit-Gesprächen. Wie gesagt, Ausnahmen mag es geben.

Es bleiben die Mitarbeiter aus dem Personalbereich. Auch hier sollte ein Exit Interview nicht von „irgendjemand aus der HR“ durchgeführt werden. Ideal ist ein Bezug des HR-Vertreters zum Bereich oder Team aus welchem der Mitarbeiter gehen wird. Noch besser ist natürlich wenn man sich ohnehin schon aus regelmäßiger Zusammenarbeit (z.B. bei der Rekrutierung) kennt. Die jeweiligen Personalreferenten oder HR Business Partner sind daher die aus meiner Sicht beste Option Austrittsgespräche für die Arbeitgeberseite umzusetzen. HR genießt meist ohnehin einen Vertrauensbonus im Unternehmen und durch das Begleiten anderer strukturierter Gesprächsformen im Unternehmen (Bewerbergespräche, Mitarbeitergespräche etc.) sind die Akteure oft routiniert in der Gesprächsführung. Schließlich ist auch die anschließende unternehmensweite Verwendung der beim Exit Interview gewonnenen Informationen über die Personalabteilung am ehesten sichergestellt.

Die Ergebnisse aus den Austrittsgesprächen nutzen
Gesetzt den Fall Austrittsgespräche finden statt und werden strukturiert geführt und entsprechend dokumentiert: Was tun mit den Resultaten? Ein wesentlicher Punkt. Neben der guten Employee Experience für den gehenden Mitarbeiter sind die so generierten Insights Hauptargument für diese Maßnahme. Die Ergebnisse können je nach Gesprächsthemen und Fragen in einzelne Erkenntnisbereiche ausgelöst werden. Naheliegend ist eine zeitnahe Rückkopplung mit der direkten Führungskraft des Mitarbeiters, allerdings erst nach dessen tatsächlichem Ausscheiden. Dann kann gemeinsam mit dieser Führungskraft erörtert werden, welche Kritikpunkte es hinsichtlich Job, Arbeitssituation und Führung gab. Hier kann unter Umständen sogar ein Personalentwicklungsthema für die betreffende Führungskraft abgeleitet werden. Genauso sollte aber dem betreffenden Vorgesetzten auch rückgemeldet werden, was dem Ex-Mitarbeiter im Hinblick auf genannte Aspekte gefallen hat.

Auf aggregierter Ebene können die Informationen aus den Exit Interviews wertvoll sein für die Arbeitgeberkommunikation, die Jobbeschreibungen oder die Ansprache zukünftiger Kandidaten. Jene Erkenntnisse betreffen Recruiting und Employer Branding. Andere Insights können im Hinblick auf die Employee Experience und generell das Arbeitergeberangebot an die Mitarbeitenden zusammengefasst werden. Als besonders wertvoll können dabei sämtliche Informationen gewertet werden, welche austretende Mitarbeiter hinsichtlich ihrer Karriereentwicklung geäußert haben. Gerade dieser Aspekt ist ein häufiger Grund warum eigentlich gute und passende Mitarbeiter ihre Arbeitgeber verlassen: Es gab keine Entwicklungsperspektiven… Hier genau zuzuhören und passende Maßnahmen abzuleiten zahlt dann schließlich wieder auf die Mitarbeiterbindung ein. In einem vermeintlich idealen Szenario führt man als Arbeitgeber also so lange Exit Interviews, bis man perfekt gelernt hat, was die eigenen Leute brachen. Man eliminiert Frustrationsmomente und schafft Rahmenbedingungen, bis de facto niemand mehr weg will… Kleiner Spaß. Bei aller Wertigkeit der Exit Interviews – soweit wird es dann doch nicht kommen, was nichts am Nutzen dieser Gespräche mindert.

 

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