Kultur schlägt Gehalt um Längen: Neue Studie bestätigt enorme Kraft von Cultural Fit

Nahezu für jeden Jobsucher ist die Unternehmenskultur im Zielunternehmen ein wichtiges Kriterium. Deutschlands Recruiting-Abteilungen ist das theoretisch bekannt, doch an der Umsetzung hapert es in den meisten Unternehmen erheblich. Eine neue Studie über Corporate Culture und Cultural Fit offenbart die unschlagbare Bedeutung des Themas Unternehmenskultur und den Handlungsbedarf in den Unternehmen in Sachen kulturelle Passung.

 

Das Thema Unternehmenskultur in der Talentgewinnung und –bindung gewinnt weiter an Aufmerksamkeit. In Form unserer Cultural Fit Studie aus dem Jahr 2016 hatten wir bereits vor geraumer Zeit und als erste im deutschsprachigen Raum überhaupt das Thema beschreiben können. Unsere Daten sind bereits Ende 2015 erhoben worden und unsere Handlungsempfehlungen am Ende der eigenen Studie haben offenbar nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil: Die Ergebnisse einer vor kurzem veröffentlichten Studie der Jobbörse StepStone belege diese erneut. Nahezu jeder Arbeitnehmer und Bewerber hält das Thema kulturelle Passung für wichtig.
Zunehmend erkennen auch Arbeitgeber den Einfluss der kulturellen Passung von Kandidaten und Mitarbeitern auf Zufriedenheit und Produktivität, wie dies die Wissenschaft schon lange weiß. Jede zweite Fachkraft hat laut neuesten Erkenntnissen bereits einmal den Job aufgrund mangelnder Identifikation mit der Kultur des Arbeitgebers gewechselt. Wer diese Fakten ignoriert, riskiert von der Konkurrenz im Wettlauf um die Talente abgehängt zu werden. Jobsucher erwarten von Arbeitgebern Orientierung über deren Unternehmenskultur.
Die neuen Zahlen von StepStone bestätigen unsere Ergebnisse aus dem Frühjahr 2016 vollständig. Letztlich ist die implizite Aufforderung aus diesen neuen Zahlen, dass für Arbeitgeber dem Cultural Fit ihrer Bewerbern dringend mehr Beachtung im Auswahlverfahren schenken sollten. Festzustellen ist, dass immer noch ein deutlicher Mangel beim Einsatz von objektiven und standardisierten Verfahren zur Ermittlung des Cultural Fit im Recruiting existiert. All zu viele Recruiting-Abteilungen verlassen sich hier im Zweifel offenbar lieber allein auf das „Bauchgefühl“, sondern betreiben lieber „Cultural Fit durch Hellsehen“, wie es im Blog Wollmilchsau einmal so schön stand. Das Thema muss daher professionalisiert werden durch klare Prozesse und valide Hilfsmittel.
Für die Studie hat StepStone im Sommer 2017 eine Online-Befragung unter rund 25.000 Fach- und Führungskräften und rund 4.000 Recruitern oder für Personalbeschaffung zuständigen Führungskräften durchgeführt. Im Folgenden nenne und kommentiere ich einige der aktuellen Zahlen aus der Befragung:

Unternehmenskultur aus Sicht von Bewerbern – Kultur schlägt Gehalt
97% aller Fachkräfte in Deutschland schenken dem Thema Unternehmenskultur Bedeutung. Ins Detail herunter gebrochen sind diesen dabei besonders wichtig der Umgang mit Kollegen, der Kommunikations- und Führungsstil, Personalpolitik und Transparenz (mit Zustimmungsraten über 90%). Weiter glauben 69% der Bewerber das Unternehmen die bei der Auswahl auf den Cultural Fit des Bewerbers achten, zufriedenere Teams und Mitarbeiter haben. 56% folgern daraus, dass solche Unternehmen insgesamt erfolgreicher sind.
Demnach ist es wenig überraschend, dass die Unternehmenskultur bei der Suche und der Wahl des zukünftigen Arbeitgebers eine gewichtige Rolle spielt. Für 93% aller Jobsuchenden ist das ein wichtiges oder sehr wichtiges Kriterium. Interessanterweise kann auch ein gutes Gehalt nur eine Minderheit der Befragten umstimmen. Gerade einmal nur 14% würden des Geldes wegen eine x-beliebige Unternehmenskultur akzeptieren.

Objektive Verfahren zur kulturellen Orientierung von Bewerbern fehlen
Meist gibt es für die Jobsucher kein objektives, nach wissenschaftlichen Kriterien entwickeltes Cultural Fit Verfahren auf den Karriere-Webseiten des Arbeitgebers. Ein solches Verfahren wie diese bspw. der bei Kindernothilfe oder in anderer Form bei den Lechwerken im Einsatz sind können Bewerbern eine gute erste Orientierung über die eigene Passung zur Unternehmenskultur im Zielunternehmen bieten. Wo das nicht möglich ist, versuchen Kandidaten die eigene Kulturpassung allein über ihre sonstigen Eindrücke einzuschätzen. Dabei achten Kandidaten am Stärksten auf den persönlichen Eindruck beim Vorstellungsgespräch. 80% haben dann besonders auf das Auftreten der Unternehmensvertreter im Blick. Auch das keine wirklich ganz neue Zahl. In unserer Candidate Experience Studie aus 2014 hatten wir bereits von rd. 85% der Kandidaten gehört, dass das Interview für ihre finale Jobentscheidung eine besonders wichtige Rolle spielt. Nach den Impressionen aus den Interviews sind ebenfalls die Kommunikation der Angestellten eines potentiellen Arbeitgebers untereinander sowie ihr Verhalten gegenüber dem Bewerber für die Bewerber aus Cultural Fit Sicht wichtig. Auch hier erkennt man den klaren Querverweis zum Thema Candidate Experience.

Stellenanzeigen bieten zu wenig kulturelle Insights, Arbeitgeberportale helfen weiter
Ferner werden Aufmachung und Inhalte von Stellenanzeigen aus der Kulturperspektive von Bewerbern interpretiert, genauso wie der Look der Büroräume. Betreffend der möglichen unternehmenskulturellen Aussagekraft bei den Stellenanzeigen hat StepStone für die vorliegende Studie das eigene Portal durchsucht und ausgewertet. Dabei wurden die Jobofferten systematisch nach 100 Keywords gescannt die Rückschlüsse auf die Kultur zulassen würden. Das Ergebnis ist ernüchternd: Die überwiegende Mehrheit der Unternehmen hält sich sehr bedeckt. Potentielle Bewerber erfahren so gut wie nichts über Unternehmenskultur, Kollegen oder das Arbeitsklima. Jobsuchende müssen deshalb oft andere Wege bei der Recherche einschlagen. Erwartungsgemäß helfen persönliche Kontakte und berufliche Netzwerke zur besseren Einordnung. Sofern die Möglichkeit besteht, wird sie von jedem Zweiten genutzt. Interessant ist der wachsende Einfluss von Arbeitgeberbewertungsportalen. 48% der Befragten greifen inzwischen auf diese Informationsquelle zurück.

Quelle: StepStone. Recruiting mit Persönlichkeit

Worüber möchten Kandidaten im Bewerbungsprozess informiert werden?
Führungsstil (74%), Entscheidungswege (71%), Kommunikationsstil (69%), Vereinbarkeit von Familie und Beruf (57%) und die Büroorganisation (53%) sind die Top Fünf unter den Kultur-Aspekten über die Bewerber frühzeitig mehr erfahren möchten. Einiges davon ließe sich bereits über eine entsprechende Darstellung auf der Karriere-Webseite des Arbeitgebers abdecken. Nennen wir es Cultural Contents. Diese sind wie wir hieran sehen können kein Beiwerk, sondern wichtige erste Orientierungspunkte, sofern ein professionelles Self-Assessment zum Cultural Fit für Bewerber (noch) nicht zum Angebot auf der Karriere-Webseite gehört.

Bewerber glauben PR-Floskeln immer weniger
Für ein authentisches Employer Branding müssen Arbeitgeber mehr tun als ein paar abgedroschene Sprüche auf der Karriereseite zu veröffentlichen. Soweit bekannt. Doch vielfach sind die Claims und Arbeitgebermarkenversprechen noch immer arg PR-lastig und wenig authentisch. Die Glaubwürdigkeit von Aussagen wie „Bei uns stoßen Sie auf flache Hierarchien“ zum Beispiel wird von knapp 50% der Jobsucher in Frage gestellt. Wenig ernst genommen werden folgende Aussagen: „Wir vereinen hohe Leistungsorientierung und gelebte menschliche Werte“ oder „Bei uns bekommen Sie beides: Die Vorteile eines Großkonzerns und den Unternehmergeist eines Start-ups“. Diese Angaben halten nur noch 30% bzw. 24% für authentisch. Arbeitgeber müssen unbedingt auf ein glaubwürdiges Employer Branding setzen. Die Zeiten wo einfach Hochglanz reichte sind vorbei.

Passend zu häufig schwammigen Selbstdarstellungen von Arbeitgebern sind die gemachten Erfahrungen von Bewerbern als spätere Mitarbeiter in den Unternehmen. Viele fühlen sich getäuscht:

StepStone. Recruiting mit Persönlichkeit

Auch in diesem Bereich freut es mich unsere eigenen Studienzahlen durch die StepStone-Daten bestätigt zu bekommen. Diesmal hatten wir gemeinsam mit der Online-Jobbörse Stellenanzeigen.de in unserer Candidate Journey Studie 2017 über 770 neueingestellte Personen gefragt, wie diese die Kultur im Abgleich mit den zuvor im Einstellungsprozess erzeugten Erwartungen bewerten: Etwa ein Drittel sprach davon die Kultur als schlechter oder viel schlechter als vermutet vorgefunden zu haben! Die Zahlen von StepStone gehen in eine ganz ähnlich Richtung.
Mein Fazit hierzu: Dramatisch! Aber gut, lassen Sie ruhig die Finger vom Thema Cultural Fit… das wird schon irgendwie ;-)

meta HR / Stellenanzeigen.de: Candidate Journey Studie 2017

Unternehmenskultur und Cultural Fit aus Sicht der Unternehmen
Neben den Einschätzungen und gemachten Erfahrungen von Kandidaten und Arbeitnehmern, hat StepStone auch die Selbsteinschätzung der Unternehmen untersucht. Unter Recruitern in deutschen Personalabteilungen herrscht Einigkeit. Die Wichtigkeit des Themas Unternehmenskultur ist quasi allen HR-Akteuren bewusst: 96% sehen das so. Damit hat sich der Wert zur Zustimmung gegenüber unserer Erhebung im Rahmen der genannten Candidate Journey Studie 2017 sogar um 16% gesteigert (wir hörten das von rund 80% der Personaler, bei Datengewinnung Ende 2016). Der Mehrwert des Kulturthemas steht für Personalverantwortliche außer Frage, doch an der Umsetzung hapert es. Lediglich vier von zehn befragten Recruitern halten die Außendarstellung der eigenen Unternehmenskultur für ausreichend. Aua!

Folgende Grafik zeigt eine Einschätzung wie wichtig der Cultural Fit bei Bewerbern bestimmter Funktionsbereiche nach Meinung der Personaler ist:

StepStone. Recruiting mit Persönlichkeit

Cultural Fit im Recruiting: Wichtigkeit ist klar, Umsetzung fehlt
Ein deutliches Spannungsverhältnis ergibt sich aus der Einschätzung der Wichtigkeit von Cultural Fit im Bewerbungsprozess und dem Vorgehen zur Ermittlung des Cultural Fit von Kandidaten.
93% aller befragten Unternehmen halten den kulturellen Fit für wichtig. Aber gleichzeitig mangelt es bei 2/3 an einer systematischen Vorgangsweise. 59% gaben an den Cultural Fit von Bewerbern nicht durch ein gezieltes Verfahren zu überprüfen. Es klaffen der Anspruch die kulturelle Passung als Auswahlkriterium zu ermitteln und die Wirklichkeit objektiven Bestimmung des Cultural Fits weit auseinander.
Eine standardisierte Überprüfung mittels eines nachvollziehbaren und objektiven Verfahrens kommt kaum zur Anwendung. Auf Tools zur Überprüfung greifen lediglich 8% zurück. Das ist exakt der gleiche Wert wie ihn im Frühjahr 2016 in unserer gemeinsamen Studie mit Employour ermittelt hatten. Da die Studie von StepStone sogar weit mehr HR-Vertreterinnen und Vertreter befragte, als wir dies seinerzeit tun konnten, ist das Ergebnis wirklich traurig. In der Breite hat sich nichts, aber wirklich nichts bei den Unternehmen getan.

StepStone. Recruiting mit Persönlichkeit

Der Wunsch nach Objektivität wächst
Eine wachsende Zahl der Personaler wünscht sich eine technische Unterstützung in der Cultural Fit Frage: 43% der befragten HR-Mitarbeiter hätten gerne ein Tool, das sie zur Cultural-Fit-Überprüfung einsetzen können. 60% sind es sogar in Unternehmen in denen weniger als die Hälfte der Mitarbeiter mit der eigenen Kultur zufrieden ist. Neben einer besseren Vergleichbarkeit und einer höheren Transparenz im Bewerbungsprozess gibt es einen weiteren Grund zum Umzudenken: Die positive Selbstauswahl der Jobsucher, sofern diese eine klare Orientierung schon über z.B. die Karriere-Webseite erhalten können. Das erhöht die Kandidatenqualität im Durchschnitt und hilft Arbeit im Recruiting-Team und Frust bei unpassenden Kandidaten zu vermeiden.

Hilfreiche Softwarelösungen sind vorhanden
Selbstredend ist der alleinige Kauf eines Tools noch nicht die Lösung, wohl aber der gut organisierte Einsatz eines Tools, was eine Beschäftigung der Recruiting-Verantwortlichen mit dem Thema voraussetzt. Wer also z.B. den Kulturwandel im eigenen Unternehmen auch seitens des Rekrutierungshebels aktiv begleiten möchte, muss gemanagten Cultural Fit betreiben. Der 100%-Match ist dann nicht immer zwingend das Ziel. Hierfür ist eine Kenntnis der Thematik notwendig. Andernfalls verschenken jene Unternehmen mittelfristig Chancen und diese werden es in Zukunft schwerer haben im Wettstreit um die passenden und weniger werdenden Talente.
Für die Auswahl einer Lösung sollte zudem darauf geachtet werden, dass ein solides Verfahren geboten wird hinter dem ein begründetes, der Forschung entlehntes Kulturmodell steht. Unternehmenskultur ist ein anspruchsvolles Thema, ein bisschen Digital-Voodoo wird dem nicht gerecht. Daher genau informieren. Es gibt aktuell viele Matching-Lösungen am Markt. Auf Cultural Fit wirklich spezialisiert und zudem nach wissenschaftlichen Aspekten entwickelt sind die allermeisten nicht. Ein Persönlichkeitstest ist noch keine Cultural Fit Messung, auch wenn ein valider Test für die Person-Job-Passung sehr hilfreich sein kann. Cultural Fit aber braucht Spezialisierung, in den eingesetzten Tools und im Know-how der HR-Experten dieses Thema zu implementieren. Wir bieten dazu übrigens zu Beginn des nächsten Jahres wieder unsere Weiterbildung zum Certified Cultural Fit Consultant an zusammen mit unseren Partnern von der DEBA, der Deutschen Employer Branding Akademie.

Ein Praxis-Case zur Inspiration
Wie erfolgreich der Einsatz eines Tools zur Ermittlung des Cultural Fit sein kann und man selbst bei einem kleinen Budget die Nase vorn haben kann, zeigt das Praxisbeispiel des Personalmarketing Innovator des Jahres 2017. Er versteht es Cultural Fit clever abzufragen, der Recruiting-Abteilung, den eigenen Bewerber und letztlich dem Unternehmen Mehrwerte zu verschaffen. Vielleicht inspiriert dieser Case mit dem Einsatz des Cultural Fit Evalueator ja doch einige. Schauen wir mal…