Ist Big Data im HR ein überbewerteter Trend oder bringt es perspektivisch das Personal-management auf ein neues Level? Was ist drin in dem Thema und wie wird es sich auf Personaler und ihre Arbeit auswirken?
Auf den letzten HR BarCamps und auf anderen HR-Events konnte ich das Thema „People Analytics“ bzw. Big Data schon mit zahlreichen Personaler/innen diskutieren. Es fällt auf, dass diese Materie für Neugier, genauso wie für Vorbehalte und Verunsicherung unter HR-Vertretern sorgt. Daher braucht es meiner Ansicht nach immer noch vor allem mehr Klarheit was das Thema mit sich bringt. So kann die Diskussion gefördert und das Thema bedarfsgerecht angegangen werden.
Little Data, Big Data, alles Data
Würden Sie eine kleine Zeitreise mit mir unternehmen? Prima. Lassen Sie uns zurückgehen in die vor-digitale Zeit, also in eine Welt ohne Smartphones, ohne Kurznachrichten, ohne Navigationssysteme, ohne soziale Medien und irgendwelche Info- oder Shopping-Portale. Also ganz einfach ohne das Internet. Vielleicht selbst auch sogar ohne simple Computer. Könnten Sie ohne all das leben und arbeiten? Wie wäre das? Keine Sorge, die Frage müssen Sie hier gar nicht beantworten und es folgt nun auch keine ethische Diskussion über die Digitalisierung als solche. An was wir uns aber anhand dieses historischen Szenarios erinnern können ist, dass es auch schon unter non-digitalen Bedingungen stets einen Bedarf nach Struktur gab. Struktur damals ausgedrückt in analogen Daten: Fahrpläne, Gewinnermittlungen, Warenmengen, Arbeitsstunden, Urlaubstage, Gesprächsnotizen usw. Gemessen, notiert und berechnet mit einfachsten und aus heutiger Sicht ineffizienten Mitteln. Aber dennoch hat der Mensch stets besser gewirtschaftet und sein Leben in der Regel gemeistert, wenn er dazu auch Daten gesammelt und systematisch ausgewertet hat. Seit der Industrialisierung und dem sog. Scientific Management des Frederick Taylor nutzt insbesondere die Wirtschaft methodisch aufbereitete Daten meist für die Steigerung der Produktivität und letztlich der Wettbewerbsfähigkeit. Der „Datenhunger“ ist also überhaupt nicht neu. Wo Menschen zusammenarbeiten war de facto schon immer alles voller Daten. Digitalisierung und eingangs genannte Technologien bringen nur eben das Vielfache an Daten hervor. Sie bieten zudem die Chance perspektivisch aus den Dateninseln von „Little Data“ in ein neues, großes Gebiet, genannt „Big Data“, aufzubrechen und wir sind bereits unterwegs dorthin.
Was Big Data für uns tun soll
Die Big Data Welle rollt bereits. Fragt man Google, würden die vermutlich von einer regelrechten Monsterwelle sprechen, so viele Daten hat der weltweite Suchdienst Nr.1 bereits. Doch eine große Datenmenge ist nicht der allein bestimmende Faktor. Das wesentliche Nutzenversprechen von Big Data für die Anwender lautet ihnen eine rationalere und damit bessere Entscheidungsgrundlage in verkürzter Zeit oder sogar in Echtzeit liefern zu können. Es geht um das Handling von Komplexität in sehr kurzer Zeit. Dazu geht Big Data weiter als jedes Controlling. Es schaut nicht nur zurück, sondern kann im Idealfall ad hoc Daten auswerten und Handlungsempfehlungen abgeben oder sogar im „Predictive“-Modus datenbasierte Vorhersagen über eine erwartbare Zukunft in einem bestimmten Kontext treffen. Dank vernetzter, leistungsfähiger digitaler Systeme sind solche Leistungen möglich, vorausgesetzt, es gibt menschliche Experten, welche die jeweiligen Zusammenhänge so gut verstehen, dass Sie die „Maschinen“ entsprechend aufstellen können. Es wird also auch mit Big Data nicht ganz ohne Menschen gehen. Jedoch in Teilen werden Tätigkeiten z.B. bei der Informationssammlung und der Diagnose nicht mehr von Menschen ausgeführt werden.
Sieben Gedanken
Um Big Data im Kontext HR besser einschätzen zu könne, werde ich nachfolgend sieben Gedanken zum Thema formulieren. Diese Gedanken sind meine subjektiven Einschätzungen und sollen zur Diskussion über Big Data unter HR-Verantwortlichen anregen, da ich glaube, dass diese Materie eine aktive Auseinandersetzung einfordert. Und wie so oft: Auch bei diesem Thema wird es keinen „one size fits all“ Ansatz geben…
1) Warum Big Data auch zu HR kommt
Die genannten Nutzenversprechen von Big Data sind so reizvoll, dass es bereits heute eine Reihe von Einsatzfeldern gibt, wo sich diese Technologie im Einsatz befindet. Logistik, Security, Wareneinkauf, Online-Marketing oder Customer Services. Der Personalbereich macht da keine Ausnahme. Der Big Data Vision folgend, dass Management Entscheidungen auf Daten- und Faktenbasis, statt auf Bauchgefühl trifft, kommt Unternehmen, die seit ein paar Jahren akzeptieren, dass Sie im Wettbewerb um die Talente stehen gerade recht: Das ´Data-Driven´-Management bietet hier Chancen jenen Wettbewerb zu bestehen. Arbeitgeber beginnen zu lernen, dass bspw. Bewerber besser wie gute Kunden zu behandeln sind und interessieren sich für deren Candidate Experience. Oder sie setzen mittels internal Branding und Maßnahmen zur Führungsqualität das Versprechen, dass „die Mitarbeiter unsere wichtigste Ressource sind“ endlich real in die Tat um. Dazu kommt Big Data gelegen. Die Einsatzfelder sind im HR vielfältig und gehen von Personalmarketing über Personalauswahl bis hin zu Motivations-, Gesundheits- oder Nachfolgemanagement. Dabei können Personaler selbst die Treiber dieser Entwicklung sein oder letztlich von Geschäftsführungs- und Finance-Interessen auf die Implementierung von „People Analytics“ verpflichten werden. Noch haben die meisten HR-Verantwortlichen dies selbst in der Hand. Die Augen vor einem Megatrend in der Wirtschaft verschließen sollten sie nicht. Big Data wird früher oder später in irgendeiner Spielart auch im HR dazu gehören. Soviel gilt wohl als sicher.
2) Schluss mit Blingflügen oder warum X Data stets besser ist als No Data
Bevor ´Big Data´ entwickelt und genutzt werden kann, sollten eine Reihe HR-Organisationen überhaupt eine höhere Datenaffinität entwickeln. Allein das zahlengetriebene Thema Recruiting-Controlling bspw. wird oft zu stiefmütterlich behandelt. Eigentlich kurios: Man stelle sich nur einmal vor, ein Weitspringer würde nach einem Sprung keine Weite erfahren. Undenkbar! Und doch realisiert nur eine Minderheit der Unternehmen ein systematisches Recruiting-Controlling. Selbst bei einzelnen wichtigen Kennzahlen sieht kaum besser aus. Laut der einer DGFP-Studie von 2011 messen bspw. lediglich 38%der Unternehmen die Standardkennzahl Time-to-Fill. Im Umkehrschluss heißt das, dass 62%der Unternehmen nicht genau wissen wie lange eine Stellenbesetzung dauert. Daher gilt: Bevor es zu Big Data kommt, zunächst einmal Schluss mit „Blindflügen“ zu machen und auch „Little Data“ ist in der Regel erst mal besser als „No Data“.
3) People Analytics werden das Personalmanagement verändern
Eine wesentliche Auswirkung von stark datenbasiertem Arbeiten und erst recht von Big Data ist eine deutlich höhere Transparenz auf Prozesse und deren Ergebnisse. Damit lässt sich natürlich gut die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit spezifischer Maßnahmen feststellen. Maßnahmen, welche einzelne Führungskräfte und einzelne HR-Manager zu verantworten haben. Die Frage ist hier, ob bzw. wann ein HR-Team dazu bereit ist mit dieser Transparenz zu leben. Gegenwärtig hat HR innerhalb von vielen Unternehmen eine gewisse Zwitterstellung inne: Zum einen verfügt HR meist über mehr Insights und Wissen, als fast alle anderen im Unternehmen, zum anderen kämpft HR oft um den Nachweis für den eigenen Wertbeitrag. Mit People Analytics wird sich dies ändern. HR muss darauf vorbereitet sein. Es wird dann ernst, sowohl mit damit, dass andere Bereiche dann Klarheit über die wirkliche Leistungsfähigkeit von HR-Maßnahmen bekommen werden, als auch damit, dass HR faktenbasiert Forderungen stellen und Veränderungen einleiten kann. Dafür muss man als HR-Team sowohl veränderungsbereit, als auch gestaltungswillig sein bzw. werden.
Diese Feststellung führt zudem zur Frage, ob die nötigen Kompetenzen im Personalbereich vorhanden sind, um Big Data einzuführen bzw. später auch aktiv zu nutzen. Auf Organisationsebene geben dazu 60%der HR-Teams an, in Sachen Big Data Kompetenz „zurück zu liegen“ oder „schwach“ aufgestellt zu sein. Nur 6%glauben, dass sie in Fragen der Analytics „exzellent“ aufgestellt sind (Bersin, 2012). Individuell werden HR-Job-Rollen unter dem Big Data Licht noch stärker einfordern das Business zu verstehen, die richtigen Fragen zu formulieren und Muster in Informationen erkennen zu können. Kenntnisse in Statistik und interdisziplinäre Vernetzung werden zudem erforderlich.
4) Vom Business her beginnen, nicht von der Technologie
Eine echte Besonderheit von Big Data ist die Kombination von strukturierten mit unstrukturierten Daten. Da fließen beispielsweise Daten aus sozialen Netzwerken oder aus eMails zusammen mit Daten über Personalbedarf und Bewerbungsvorgängen. Um solcher Datenflut Herr zu werden gibt es mittlerweile sehr viele interessante technische Tools. Sie helfen bei der Datengewinnung und –aufbereitung. Doch diese wichtige, technologische Kompetente wird leicht überschätzt, da sie reizvoll wirkt. Nur nützen alle Tools nichts, wenn nicht klar ist weshalb eine HR-Organisation Big Data nutzen möchte. Daher sollte jede Initiative in Richtung People Analytics stets von einem spezifischen Businessinteresse ausgehend gestartet werden. Wenn das der Fall ist, kann mit leistungsfähiger Technologie und einen passenden Maß professioneller Beratung ein Big Data Szenario entworfen und umgesetzt werden, welches wirklich weiterhilft und sich auf einem klaren Business Case gründet. Big Data muss daher auch nicht immer automatisch allumfassend sein. Fokussiert und nicht zuletzt auch mit dem Blick auf Datenschutzproblematiken, kann das Thema so effektiv entwickelt werden. Darin wird meiner Meinung nach auch die Chance für den Mittelstand liegen: Der Mittelstand wird perspektivisch nicht auf den Einsatz von Analytics verzichten wollen und können. Aber er wird dort fokussierter und pointierter als bei manchem Konzern erfolgen müssen. Vielleicht wird „mittelständisches Big Data“ im Endeffekt hierdurch sogar wirksamer.
5) Anwendungsgebiete
Die möglichen Einsatzgebiete sind vielfältig. Erste Unternehmensbeispiele kommen oft aus dem Bereich Personalgewinnung oder Personalauswahl. Hier sind kombinierte Daten aus bspw. Persönlichkeitstyp, Alter, Karrierelevel, Geschlecht, Verweildauer in vorangegangen Positionen und Entfernung des Wohnortes vom Arbeitsort usw. Quellen für clevere Algorithmen, die helfen die Trefferquote bei der Einstellung zu erhöhen. Die Auswahl von Service Agents bei der Firma Xerox ist hierfür mittlerweile ein prominentes Beispiel.
Ansonsten gibt es im Brand Management oder im Talent Management viele denkbare Anwendungen, die sich in manchen Fällen bereits mit begrenztem Aufwand realisieren lassen. Ich hatte vor einiger Zeit hier in diesem Blog einen Gastbeitrag der HR-IT-Spezialisten von Ingentis. Mit deren Lösungen zur Datenkonsolidierung und –visualisierung lassen sich in Unternehmen z.B. Mitarbeiterbindung oder Nachfolgemanagement besser betreiben. Der Beitrag ist lesenswert um einen Eindruck für den praktischen von Big Data in HR-Fragestellungen zu bekommen.
Wieder andere Ansätze führen unstrukturierte Daten aus sozialen Netzwerken zusammen und erstellen so dem jeweiligen Unternehmen ein Bild davon, wie seine Arbeitgebermarke im digitalen Raum wahrgenommen wird. Noch andere Anwendungen könnten z.B. die Führungsqualität verbessern helfen oder beim Management von Work-Life-Aspekten in der Belegschaft dienlich sein. Einige besonders innovative Ideen dürften es in Deutschland jedoch aus Datenschutzgründen noch recht schwer haben.
6) Chancen und Grenzen von Big Data
Wo Maschinen mit ihren Algorithmen bessere Entscheidungen treffen als der Mensch können sie auch im HR-Management eine große Hilfe darstellen. Das ist z.B. dort der Fall wo enorme Komplexität in bereits digitaler Form vorherrscht. Hier können Analytics dazu beitragen den Überblick zu behalten und passende Maßnahmen vorschlagen. Dazu ist eine grundsätzlich höhere oder hohe Digitalisierung des gesamten Unternehmens und seiner Marktbearbeitung von Hilfe. Wo wenig Digitalisierung vorliegt kann Big Data eben auch nur zu begrenzter „Größe“ kommen. Big Data sollte dabei immer der erste Helfer des Menschen sein. Der Mensch kann viel besser als der Computer verschiede Kontexte zusammenführen, Analogien bilden und übergeordnete Muster erkennen. Am Ende sollte es der Mensch sein, der Abwägungsentscheidungen trifft. Diese sind sich der Tatsache bewusst, dass insbesondere menschliches Verhalten so komplex ist, dass nicht alles berechnet werden kann. Jedoch können Chancen auf richtige Entscheidungen in einer Kombination aus menschlicher Erfahrung und datenbasierten Analytics deutlich erhöht werden. Entscheidend für ein wirklich effektives Nutzen von Big Data wird auch eben deshalb der Mensch sein, weil nur er sich im Klaren darüber sein kann, dass Korrelationen eben leicht mit Kausalitäten verwechselt werden können. So behält auch unter Big Data Szenarien der Mensch den Lead und verhindert so ein fehlgeleitetes, organisationsinternes Datendiktat.
7) Big Data fordert die kulturelle Weiterentwicklung von Unternehmen
Auch wenn Big Data natürlich ein stark technisch geprägtes Thema ist, dürften seine Anwendungen nur dann wirklich effektiv werden, wenn sich die Unternehmen auch in ihrer Unternehmenskultur darauf einlassen. Was heißt das konkret? Datenbasierte geführte Unternehmen können bspw. mit der dort herrschenden Transparenz umgehen. Das Führungsverständnis ist ein entsprechendes und gründet sich auf Kompetenz und Unterstützung und nicht auf Macht und Privilegien. Die tiefen Einblicke, die Big Data letztlich irgendwann in diverse Prozesse und Zusammenhänge bringen kann schafft auch eine neue Verantwortung im Umgang mit diesem Wissen. Auch dazu muss die Organisation die richtige Reife erreichen und von der Wertelandschaft her stimmig mit diesen Auswirkungen umgehen. Schließlich wird mit Big Data eine Erhöhung von Arbeits- bzw. Entscheidungsgeschwindigkeiten möglich. Von diesem Effekt können HR-Teams oder Unternehmen nur profitieren, wenn sie flexible und schnelle Entscheidungsmodi implementiert haben und das entsprechende Commitment zu den so getroffenen Entscheidungen dann auch leben. Diese kulturelle Komponente von Big Data Integrationen in Unternehmen und speziell ins Personalmanagement wird momentan noch recht wenig behandelt. Analog zu den Themen Social Media und Digitalisierung droht nach meiner Wahrnehmung hier abermals ein bedeutendes Thema technisch über- und kulturell bzw. sozial unterschätzt zu werden. Besonders Personaler sollten sich dieses Umstandes besonders bewusst sein.
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Der wirtschaftliche Nutzen von Big Data liegt darin, die Daten durch intelligente Logarythmen auszuwerten, um Geschäftsmodelle profitabler zu machen. Diese Logarythmen programmieren Menschen nach genau diesen Interessen. So nutzen Versicherer, Banken und viele Dienstleister, die persönlichen Daten, die jeder im Internet hinterlässt, zur Optimierung ihrer Geschäftsmodelle. So können z.B. Versicherer heute schon in den USA (siehe Bestseller: Wem gehört die Zukunft) bestimmte Versicherer von Leistungen ausschließen oder erst gar keine Versicherungen geben. In Deutschland gibt es eine Schwarze Liste über 1,8 Mio Menschen, die die Versicherer nicht aufnehmen (siehe Handelsblatt vom 6.2.2015).
Übertragen auf die Personalarbeit eignet sich Big Data mit intelligenten Logarythmen für gezielte Personalentscheidungen oder zur Vorbereitung von Kündigungen, Abmahnungen oder andere disiziplinarischer Maßnahmen. Je nach Menschenbild und Interesse. Personaladministrationen, als personalintensivster Teil von Personalabteilungen werden bei diesem Szenario eher überflüssig, weil Unternehmen sie durch IT und Controllingfunktionen ersetzen kann.