Fünf Ansätze mit Automatisierung, künstlicher Intelligenz & Co. im digitalen Recruiting

Egal ob es um zukünftig autonomes Fahren geht oder die Steuerung unseres Zuhauses und Privatlebens mittels Alexa, Siri und Co.: Künstliche Intelligenz und digitale Assistenzsysteme finden immer mehr Eingang in unser Leben. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren erwartbar noch verstärken. Es ist daher nicht verwunderlich, dass KI und verwandte Technologien auch eine immer größere Rolle im Personalmanagement, insbesondere im Recruiting spielen. In diesem Beitrag werfe ich einen Blick auf fünf technologische Ansätze, die via Automatisierung, künstliche Intelligenz oder digitaler, intelligenter Assistenz das Recruiting in naher Zukunft aufmischen werden.

 

Seit Jahren wird der Bewerbungsprozess immer digitaler. Spätestens die Generation Z, wenn nicht sogar bereits ein Großteil der Millennials, wird bald irgendwann nicht mehr wissen, was es bedeutet eine Bewerbungsmappe auf postalischem Weg an einen potenziellen Arbeitgeber zu senden. Im Zuge der Digitalisierung des Recruitings spielen vor allem mehr Effizienz und mehr Effektivität eine große Rolle. Das gilt letztlich für beide Seiten: Arbeitgeber wollen Stellen besser und schneller besetzen und Jobsuchende eine entsprechend passende Position bei minimierten Aufwand finden. Mit dem Einsatz von intelligenten Systemen bzw. “Roboter- Recruiting” geht die Hoffnung um nicht nur die Rekrutierungsgeschwindigkeit und den dabei gebotenen Komfort weiter vorantreiben, sondern vor allem auch mehr Sicherheit bei der Wahl des richtigen Kandidaten (respektive Arbeitgebers) zu bekommen. Schauen wir, welche Ansätze es dazu gibt:

1. Gesichts- und Spracherkennung ergänzen die Videobewerbung
Dank Digitalisierung, Business Networks und PC-gängiger Videotelefonie können sich Kandidaten nahezu weltweit ohne größere Hindernisse bewerben und (zumindest im ersten Schritt) interviewt werden. Videointerviews werden nicht zuletzt deswegen immer beliebter. Ein weiterer Benefit von Videointerviews in der Zukunft: Diese Interviews können in der Zukunft von Analysesoftware begleitet durchgeführt werden. Ein Kandidat kann dann einfach den zuvor zugesandten Fragenkatalog mit Hilfe einer Webcam beantworten und somit auch zeitversetzt das Interview durchführen. In naher Zukunft wird es dabei dank modernster Software möglich sein nicht nur den Inhalt zu analysieren, sondern auch die Körpersprache, die Mimik und den verwendeten Wortschatz des Kandidaten. Neben der Zeitersparnis der für die Beteiligten würden so spezifische Merkmale aus den Videointerviews genutzt werden können, um einen Ausschnitt der Persönlichkeit des Kandidaten zu erkunden. Idealerweise fließen solche Erkenntnisse ohne Einfluss von Sympathie/ Antipathie einzelner Recruiter gegenüber den Kandidaten in die Gesamtbewertung ein.
Inwiefern solche Assistenzsysteme für Auswahlentscheidungen in Deutschland datenschutzkonform betrieben werden können ist noch unklar. Doch selbst wenn die ersten Ansätze noch Fragen aufwerfen, es wird mehr davon kommen auch im Bereich Video.

Der Bereich Sprachanalyse geht in jedem Fall voran. Tools wie die Software Precire können bereits angeblich innerhalb eines ca. 15-minütigen Telefongesprächs einschlägige Persönlichkeitsprofile mit Angaben zu Kommunikationsverhalten und Denkmustern erstellen. Hierfür werden bei dem genannten Tool unabhängige, standardisierte Fragen gestellt, die in freier Rede beantwortet werden müssen. Das kann jobbezogen sein oder beispielsweise auch der Ablauf eines typischen Sonntagnachmittags beim Kandidaten abfragen. Die Auswertung der Sprachprobe erfolgt dann anhand von z.B. Wortwahl, Sprachfluss, Worthäufigkeit und dem Wortschatz des Kandidaten. Derzeit finden solche Sprachanalysen eher Anwendung bei der Schulung von Mitarbeitern die in der Kundenbetreuung oder im Vertrieb tätig sind, dennoch ist es denkbar, dass sie zukünftig auch im Recruiting häufiger angewendet werden. Wichtig ist hier jedoch, dass eine solche Analyse – sofern das seriös funktionieren sollte – zwar besonders zu Beginn der Kandidatenauswahl hilfreich sein kann, ein ausführliches Gespräch mit Unternehmensvertretern aber nicht ersetzt.
In Deutschland wird Precire angeblich bereits in Pilotprojekten eingesetzt. Ob die Software wirklich funktioniert und wie erfolgreich sie letztlich ist, ist allerdings unklar. Ebenso, ob es sich dabei um einen nach den Kriterien der Eignungsdiagnostik soliden Ansatz handelt. Auf jeden Fall klingt das Tool in seiner Art spektakulär und verspricht bahnbrechende Ergebnisse. Fraglich ist weiterhin ebenso ob ein reines Roboter-Mensch-Telefonat, welches den Bewerbern aufgezwungen wird, von diesen als wertschätzend empfunden wird. Immerhin wissen wir seit unserer Prionierarbeit in dem Feld, der Candidate Experience Studie, dass Wertschätzung die wichtigste Kategorie für ein positives Kandidatenerlebnis ist.

2. Automatisiertes CV-Screening bzw. Auto-Bewerbervorselektion
Um talentierte Kandidaten von unqualifizierten zu trennen, greifen immer mehr Unternehmen auf automatisierte CV-Screenings zurück. Tools wie CVlizer von HR-Software Anbieter joinvision, erfassen gesamte Bewerbungen semantisch und verarbeiten diese zu einem standardisierten Kandidatenprofil. Bei der Erfassung wird übrigens nicht nur der tabellarische Lebenslauf erfasst, sondern auch Fließtext des Motivationsschreibens und Arbeitszeugnisse. Die Programme können diese auslesen und sinnhaft zusammenfassen. Dies erspart Personalern Zeit und bietet ihnen die wichtigsten Fakten zu einem Kandidaten in einem übersichtlichen vergleichbaren Format. Diese können dann vom Recruiter anhand von Keywords gefiltert werden, wodurch nur Kandidaten mit den passenden Kriterien präsentiert werden. Doch damit sind die Möglichkeiten noch nicht erschöpft. Langfristig können Muster entdeckt werden, die auf einen Zusammenhang zwischen Merkmalen erfolgreicher Angestellter und neuen Bewerben zurückzuführen sind.
Ihnen sollte aber klar sein, dass jeder Algorithmus nur so gut und fair ist wie der Programmierer, der hinter ihm steht. Eine selbstlernende CV-Vorauswahl müsste daher zukunftsweisend regelmäßig mit späteren Daten zur Job-Performance der eingestellten Person gefüttert werden. So könnte die KI erkennen, welche Muster sich in CVs von später erfolgreichen Personen finden. Kritisch zu betrachten ist jedoch, dass dabei auftretende Korrelationen nicht zwingend Kausalitäten abbilden müssen, d.h. dass die gute Job-Performance ggf. anderen Bedingungen geschuldet ist, welche die KI gar nicht erfassen kann. Genau zu diesem Thema gab es mehr als eine Session auf dem HR BarCamp neulich in Berlin. Ein sicheres Zeichen, dass die Vordenker der HR-Szene sich bereits intensiv mit dem Thema auseinandersetzen.

3. e-Assessment und automatisiertes Matching
Bei einer großen Bewerberzahl kann die Auswahl von passenden Kandidaten selbst für erfahrene Recruiter zur Herausforderung werden. Online-Tests werden deshalb bei der Vorauswahl immer beliebter. Die Vorteile liegen auf der Hand: Eine große Anzahl an Kandidaten kann gleichzeitig an einem standardisierten Test teilnehmen und die Daten können zur späteren Verarbeitung gespeichert werden. Im Anschluss können diese mittels cleveren Algorithmen analysiert werden. Es lassen sich in gewissem Umfang die gewünschten Qualifikationen für die ausgeschriebene Stelle überprüfen, ebenso Teile von Softskills oder der Arbeitsmotivation. Im Bereich Sourcing leisten solche Tools schon gute Dienste. Einen Blick in der Hinsicht ist z.B. die selbstlernende Matchingleistung des Pocket Recruiter wert. Dort werden CVs mit spezifischen Jobanforderungen automatisch gematcht. Auch der Cultural Fit kann in solche Form überprüft werden. Die Wahl eines seriösen Tools immer vorausgesetzt, denn hier ist durchaus “Voodoo” auf dem Markt, wie Persoblogger Stefan Scheller hier aus der eben manchmal recht absurden Praxis von unwissenschaftlichen Tools berichtet.
Im Zuge solcher Self-Assessments lässt sich teilweise auch das Feature der Gamification integrieren. Wird durch den Spieltrieb des Menschen das Interesse am Unternehmen gefördert und die Marke selbst attraktiver wahrgenommen? Mitunter ja. Doch man muss aufpassen, dass Gamification nicht immer gleichzusetzen ist mit handwerklich soliden Tests bzw. Matching. Wer erwartet das ein „Spielzeug“-Matching mit ggf. 3-4 Minuten minimaler Datenaufnahme hinterher höchst valide und zuverlässige Ergebnisse über den Kandidaten und dessen Passung zu was auch immer ausspucken würde, ist leider auf dem Holzweg!
Wo tatsächlich Spiele genutzt werden können um Skills zu testen, sollten die psychometrischen Anforderungen dennoch erfüllt werden. Kann ein e-Assessment dies nicht leisten bzw. kann der Anbieter hierzu nichts sagen, kann man die Lösung immerhin noch rein aus Info- und Unterhaltungswert für seine Jobinteressenten einsetzen und so die Beschäftigung mit dem Arbeitgeber oder dem Beruf zumindest fördern. Mehr geht aber in solchem Fall nicht.

4. Chatbots als 24-Stunden-Ansprechpartner
Im Rahmen des Bewerbungsprozesses hat natürlich nicht nur das Unternehmen fragen, sondern auch die Jobsucher bzw. Kandidaten haben Fragen an die Arbeitgeber. Zum Beispiel wollen Kandidaten den Bewerbungsprozess besser verstehen oder die Vor- und Nachteile eines Jobs besser abwägen. Ausgangspunkt ist oft schlicht die Frage nach der Existenz eines passenden Jobs, d.h. die Suche nach aktuellen Jobangeboten. Doch egal, in welche Richtung die Fragen abzielen, viele von ihnen sind bei den meisten Bewerbern ähnlich und wiederholen sich in halbwegs regelmäßigen Abständen. Damit Personaler nicht immer wieder die gleichen Antworten versenden müssen, können Chatbots eingesetzt werden. Diese sind interaktiver als eine reine FAQ-Sektion und ersparen Zeit. Damit keine Verwirrung auftritt, sollte ein Chatbot aber immer klar als solcher erkennbar sein. Sonst kann es für Kandidaten irritierend sein, wenn sich der vermeintliche Gesprächspartner erst im Chatverlauf als Roboter herausstellt.

Mittlerweile finden sich auch recht solide Beispiele für Chatbots in den Social Media Kanälen. Wer sehen möchte, was zur Zeit möglich ist und wie sich ein Bot im Einsatz verhält, kann sich durch die Beispiele von Jobmehappy oder Trenkwalder klicken (jeweils via Facebook eingebunden).
By the way: Wie man einen Chatbot in die Verzweiflung treibt hat mein Blogger-Kollege Henner Knabenreich Anfang des Jahres einmal aufgezeichnet – Achtung Humor!

Zurück zum Thema: Bedenken, dass Bots Personalern langfristig die Jobs streitig machen können, sind letztlich unbegründet. Vielmehr sparen die digitalen Helfer den HR Abteilungen Zeit und Geld. Aufgaben die menschliches Einschätzungs- und Einfühlungsvermögen erfordern, wie z.B. Vertragsverhandlungen oder das persönliche Kennenlernen eines Kandidaten, können die Roboter nicht wirklich für Personaler übernehmen. Dies zeigt auch der neue Bericht von LinkedIn zum Thema “Künstliche Intelligenz – Ihre Geheimwaffe”. Dieser sieht die Stärken von Künstlicher Intelligenz vor allem im Finden und Analysieren von Kandidaten sowie in organisatorischen Aufgaben.

Quelle: Weltweite Trends in der Personalbeschaffung 2018: Künstliche Intelligenz; Hrsg.: LinkedIn

5. Der Weg in unsere Psyche über den digitalen Fußabdruck
Das Potenzial, das in den zahlreichen Nutzerprofilen von facebook, LinkedIn und Co. steckt, hat sich nicht zuletzt im Datenskandal um die Datenanalyse-Firma Cambridge Analytica und deren Aktivität im US-Wahlkampf gezeigt. Auch in der HR Szene ist die Macht der Daten von Social Media Profilen und sonstigen digitalen Fußspuren im Netz bekannt. Durch Software wie Crystal Knows können angeblich ganze Persönlichkeitsprofile auf Basis dieses digitalen Fußabdrucks erstellt werden. Das Programm filtert hierfür alle Informationen heraus, die für einen Job relevant sind. Das Ziel ist es danach jedoch nicht zu sagen, ob der Kandidat zum Unternehmen passt, sondern wie man ihn am besten anspricht und wie die Zusammenarbeit funktionieren könnte. Das Tool liefert also ein Handbuch für den Umgang und die bestmögliche Kommunikation mit den einzelnen Mitarbeitern. Basis ist ein gängiges, aber als veraltetet geltendes Persönlichkeitsmodell. Dennoch können dadurch im Prinzip Absprachen zwischen einzelnen Mitarbeitern verbessert und Meetings produktiver gestaltet werden. In Deutschland dürfte Crystal Knows allerdings am Datenschutz scheitern, weshalb ich auch als Nicht-Jurist schon vom Einsatz abrate (bzw. fragen Sie im Zweifel dringend Ihren Anwalt dazu).
Das Tool zeigt jedoch, welche Möglichkeiten KI schon heute bietet und in welche Richtung die technische Entwicklung sicher noch weiter gehen wird (ggf. etwas eleganter und datenschutzkonformer).
Doch auch die Plattformen selbst analysieren unsere Profile, um uns passende Angebote zu machen – seien es Veranstaltungen, die uns auf Facebook vorgeschlagen werden oder offene Positionen via XING oder LinkedIn. Auch hier ist sicher noch Luft nach oben, aber die Vorschläge werden langsam besser, d.h. treffender. Auch bei den Online-Jobbörsen gäbe es noch viel mehr Möglichkeiten. Denn die Jobvorschläge für dort registrierte Sucher basieren bislang meist im Kern auf den Angaben zur Ausbildung und vormaligen Jobs. Falls jedoch persönliche Interessen und Aktivitäten etc. von anderen Profilen zusätzlich zur Analyse herangezogen würden, ergäben sich ganz neue Möglichkeiten. Die Algorithmen werden ständig verbessert und somit dürften auch die Vorschläge in naher Zukunft passgenauer werden, vor allem, falls hier Plattform- und Network-übergreifend gearbeitet werden würde/ dürfte…

Sind die Roboter auf dem Vormarsch?
Elemente des “Roboter Recruiting” bieten enormes Potenzial, von denen dieser Artikel nur einen Teil aufgreifen kann und nur in Umrissen skizzieren kann. Auch bei den kleinen Zeitfressern des Arbeitsalltags kann das Abhilfe schaffen. Plattformen wie Jameda machen es bereits vor: Die Online Terminvergabe funktioniert. Was in Arztpraxen längst zum Alltag gehört, lässt sich auch im Recruiting anwenden. Mittels Online-Tools oder freigegebenen Kalendern kann die Koordination eines Vorstellungsgesprächs oder Assessment Centers automatisiert werden. Und das sind nur die zaghaften Anfänge…
Bei allen Vorzügen der künstlichen Intelligenz, doch sie kann die empathischen Aspekte der Arbeit im HR bzw. im Recruiting nicht leisten. Zudem würde ein gänzlich automatisiertes und autonomes Recruiting sicher Probleme mit dem sich via DSGVO nochmal tendenziell verschärfenden Datenschutz bekommen. Es muss sich also wohl kein Personaler Sorgen machen, in naher Zukunft seinen Job an einen Roboter zu verlieren. Doch sicherlich werden die fortschreitende Technologisierung und Autonomisierung der Branche die Arbeit verändern und verlangen mehr technisches Verständnis. Damit müssen Recruiter ihren Aufgabenbereich anpassen und neue Kompetenzen erwerben. Der größte Benefit von KI, Automatisierung und Co. wird die gewonnene Zeit sein, in welcher sich HR-Vertreter z.B. auf Themen wie die Candidate Experience und oder die persönliche Kandidaten-Kommunikation konzentrieren können. Es bleibt spannend.

 

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Titel-Bild:
CC BY-SA 2.0 by A Health Blog

2 Gedanken zu „Fünf Ansätze mit Automatisierung, künstlicher Intelligenz & Co. im digitalen Recruiting

  1. ONMA Hannover

    Künstliche Intelligenz wird in der Zukunft ein großes Thema sein und ich bin gespannt wie sich dieses entwickeln wird. Ob Alexa, Siri und Co. – sie erleichtern unseren Alltag um einiges. Übertragbar ist das natürlich auch auf das Personalmanagement.

    Eine interessante Diskussion kann hier bei entstehen. Nehmen uns dann Siri, Alexa unsere Arbeitsplätze weg?

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