Der Mensch liebt das Spiel. Diese uralte Erkenntnis machen sich seit einigen Jahren auch immer mehr Organisationen zunutze, wenn es um Personalgewinnung oder Personalauswahl geht. Der hierbei verwendete Terminus nennt sich „Recrutainment“. Genau zu diesem Thema hat Jo Diercks kürzlich ein Buch herausgegeben.
Ein guter Grund um einmal nach dem aktuellen Stand des Themas zu fragen…
Recrutainment-Instrumente sind im Rahmen des Trends zum Spielerischen, der sog. Gamification, im Kommen. Doch diese Entwicklung gibt es bereits eine ganze Weile und mein erstes Gespräch hier im Blog mit Recrutainment-Experten Jo Diercks hat immerhin schon 2010 stattgefunden. Recrutainment kann also ziemlich sicher als stabiles, nachhaltiges HR-Trendthema bezeichnet werden, was den Kinderschuhen bereits entwachsen ist. Umso schöner, dass nun erstmals im deutschsprachigen Raum ein Buch erschienen ist, welches sich ausschließlich dem Thema in Theorie und Praxis zuwendet.
Jo Diercks und Kristof Kupka hatten zu ihrem Herzensthema unter der Überschrift „Webbasierte Assessmentverfahren zur Verbesserung von Selbst- und Fremdauswahl“ bei dem von Prof. Nele Graf und mir herausgegebenen Buch „Innovative Talentstrategien“ bereits einen wertvollen Beitrag geleistet. Konsequenterweise haben die beiden den Schreibmodus um den der Herausgeberschaft erweitert und nun kürzlich ihr eigenes, lesenswertes Buch „Recrutainment: Spielerische Ansätze in Personalmarketing und –auswahl“ vorgelegt. Dieser Anlass und die nach wie vor vorhandene Aktualität des Themas haben mich bewegt ein Interview mit Jo Diercks zu führen.
Das Interview:
Christoph Athanas, metaHR:
Hallo Jo. Du bist seit vielen Jahren als Pionier im Thema Recrutainment aktiv. Du kennst entsprechend wohl nahezu alle möglichen Formen davon. Die allermeisten Recrutainment-Ansätze finden Online statt und Du hast ja genau dafür auch schon lange einen prima Blog. Warum also nun ein Buch über dieses Thema?
Jo Diercks:
Hi Christoph, stimmt. Auch wenn es einem ob der Berichterstattung manchmal so vorkommt, als wenn Recrutainment in den letzten 2-3 Jahren aufgekommen wäre, reichen dessen Anfänge deutlich weiter zurück. Wir machen das in der Tat inzwischen seit nahezu 15 Jahren, seinen Ursprung hatte das Thema wohl in der „Karrierejagd durchs Netz“, die wir um die Jahrtausendwende das erste Mal starteten. Dass ich alle Formen des Recrutainment kenne, glaube ich nicht, weil einen hier die Kreativität vieler doch immer wieder aufs Neue überrascht und verblüfft. Ich komme selbst in meinem Blog nicht annähernd hinterher…
Das war auch der Hauptantrieb, dem Thema ein Buch zu widmen: Wir wollten dem immer noch etwas schillernden Begriff Recrutainment erstmals so etwas wie ein solides theoretisches Fundament und einen definitorischen Rahmen geben, denn nicht alles was lustig ist, ist damit automatisch Recrutainment… Wo ist beispielsweise der Zusammenhang zu dem Megathema Gamification? Sind Auswahltests per se kein Recrutainment oder können diese eben doch so gestaltet sein, dass sie diesem Anspruch genügen, ohne dadurch weniger seriös zu sein? Fragen wie diese werden in dem Buch beantwortet. Damit fällt es zukünftig deutlich leichter, Cases die einem über den Weg laufen, einzusortieren und besser zu verstehen.
[Abb. Die Welt des Recrutainment einmal sortiert]
Dass wir das Buch dennoch natürlich dem Thema gebührend auch kurzweilig gestalten wollten, drückt sich durch die sehr unterhaltsamen Praxisbeispiele in den Gastbeiträgen, u.a. von Robindro Ullah oder Jörg Buckmann aus.
CA, metaHR:
Danke, für die hilfreiche Einordnung des Themas. Recrutainment bzw. spielerische Online-Self-Assessments können in sehr vielfältiger Art und Weise ausgestaltet werden. Du als Herausgeber dieses Buches hast dazu vermutlich den besten Überblick. Mich interessiert, welche Aspekte für den erfolgreichen Einsatz von Recrutainment-Elementen in Personalmarketing oder –auswahl absolut wichtig sind, unabhängig davon wie die konkrete Ausgestaltung der Lösung aussieht. Was also sind Deiner Ansicht nach die erfolgskritischen Aspekte?
JD:
Recrutainment bezeichnet ja „den Einsatz spielerisch-simulativer und benutzerorientierter Elemente in Berufsorientierung, Employer Branding, Personalmarketing und Recruiting“. Die Betonung liegt dabei auf der Benutzerorientierung, denn Unterhaltung ist im Recrutainment kein Selbstzweck. Wichtig ist immer der konkrete Bezug zu einem Arbeitgeber, einer Ausbildungseinrichtung, Berufen/Berufsbildern oder Berufs- und Bildungswegen; also der Botschaft!
Recrutainment soll am Ende immer der Verbesserung des Zusammenfindens von „passendem“ Kandidat und „passendem“ Arbeitgeber (bzw. passender Ausbildungseinrichtung) dienen, in dem Einblicke vermittelt werden und Hilfestellungen gegeben werden, dass sich ein potentieller oder tatsächlicher Bewerber mehr und vor allem „das Richtige“ unter einem Arbeitgeber vorstellen kann. Nur wenn es dazu beiträgt, dieses Matching zu verbessern, ist Recrutainment erfolgreich.
CA, metaHR:
Der Megatrend Demografischer Wandel und der schon heute partiell spürbare Fachkräftemangel führen absehbar in Deutschland dazu, dass Bewerber immer knapper werden. Unter diesen Bedingungen kann ich mir gut vorstellen, dass Bewerber in geringerem Maße als früher dazu bereit sein werden längere Auswahlprozesse zu akzeptieren. Wann wird Recrutainment hierbei eher profitieren und wann wird es als Instrument ggf. darunter leiden. Was denkst Du?
JD:
Mein Eindruck ist eher, dass die Bedeutung des Themas Recrutainment in den letzten Jahren dramatisch zugenommen hat, was wir nicht nur an unserer Bilanz ablesen können, sondern auch an der umfangreichen Berichterstattung – nicht nur in Fach-, sondern vor allem Publikumsmedien wie SPIEGEL, wiwo, ZEIT, Prosieben oder Bayerischem Rundfunk.
Den Grund dafür sehen wir in verschiedenen Megatrends wie Gaming und Gamification. Wir sehen die Ursache aber auch in dem bewerberseitigen Wunsch nach Orientierung und Transparenz (Stichwort Generation Y) bzw. dem spiegelbildlichen Streben nach Authentizität auf Arbeitgeberseite. Recrutainment ist Ausdruck dessen, dass immer mehr Unternehmen eine insg. bewerberfreundlichere Ansprache und einen bewerberfreundlicheren Umgang mit (potentiellen) Kandidaten pflegen oder zumindest pflegen wollen („Candidate Experience“). Man könnte also sagen, dass War for Talent und Fachkräftemangel Recrutainment eher befeuern als bedrohen, denn es geht im Recrutainment wie gesagt weniger um „lustig“ als vielmehr um „Matching bzw. Passung“.
CA, metaHR:
Noch einmal zum Anlass unseres Gespräches: Euer Buch hat aus meiner Sicht gutes Potenzial zum Standardwerk. Man merkt aber gerade deshalb auch, dass da Arbeit drin steckt. Da ich selber die Rolle des Fachbuchherausgebers kenne, interessiert mich, wo Du persönlich, obwohl thematisch „im Saft“ stehend, noch dazulernen konntest und was Dich am meisten überrascht hat?
JD:
Oh ja, Arbeit steckt da drin… Das habe ich anfangs auch unterschätzt. Ich möchte gar nicht wissen, was bei Euch los war, immerhin hattet Ihr ja neben Euren eigenen Beiträgen um die 20 Gastautoren zu betreuen…
Für uns war die Arbeit an dem Buch enorm fruchtbar, denn obwohl man sich mit diesen Dingen praktisch jeden Tag beschäftigt, ist es doch nochmal etwas ganz anderes, wirklich tief auch in die Theorie einzusteigen und die Frage „Was ist Recrutainment?“ wirklich einmal schlüssig zu beantworten. Wir hatten vorher natürlich das Gefühl, dass das Thema „irgendwie“ deutlich präsenter wird, aber sich einmal systematisch auf die Suche nach den Ursachen zu machen, macht einem selber vieles noch einmal erheblich klarer.
Wir haben uns bspw. intensiv mit dem Thema Gamification beschäftigt, also der „Anwendung von Spielmechanismen auf Dinge, die selber kein Spiel sind“. Hier zu verstehen, wo Recrutainment Teil der Gamification ist, wo aber eben auch nicht, war für uns wirklich spannend. Wir haben uns intensiv mit der vielzitierten „Generation Y“ beschäftigt und versucht zu verstehen, welche Wünsche und Anforderungen diese denn an die Arbeitgeber hat. Ich glaube bspw. dass das vielzitierte „Authentizitäts-Mantra“ im Employer Branding, was übrigens auch im Recrutainment eine überragende Rolle spielt, seinen Ursprung in der Forderung der nachwachsenden Generationen nach Transparenz liegt.
Schließlich ist auch die intensive Beschäftigung mit dem Thema „Orientierung“, die bei uns ja auch Ausdruck in der wirklich erstaunlich viel beachteten Blogparade mit inzwischen 36 Beiträgen oder dem Leitthema der diesjährigen Recruiting2015 („Welcome to the Jungle“) gefunden hat, eine direkte Folge der Recherchen für das Buch.
Insofern: Die Arbeit hat sich für uns allemal gelohnt…
CA, metaHR:
Das klingt in jedem Fall gut und freut mich sehr für Euch.
Letzte Frage: Welche Pläne hast Du, das Thema Recrutainment weiter voran zu bringen? Gibt es vielleicht in Zukunft noch ein weiteres Buch von Dir?
JD:
Naja, um ehrlich zu sein. Ob ich sobald selber wieder ein eigenes Buchprojekt angehe, da bin ich erstmal zurückhaltend #grins. Aber auch so veröffentliche ich im Schnitt pro Jahr ja 2-4 Fachartikel in Büchern (anderer) und Zeitschriften, ganz zu schweigen von um die 75 Blogartikeln…
Neben dieser eher wissenschaftlichen und journalistischen Begleitung werden wir das Thema Recrutainment aber natürlich weiter vor allem durch praktische Arbeit weiterentwickeln. Pro Monat stellen wir im Schnitt zwischen ein und zwei Projekte fertig und jedes ist doch wieder irgendwie anders als die anderen…
CA:
Lieber Jo, danke für das Gespräch und viel Erfolg mit „Recrutainment: Spielerische Ansätze in Personalmarketing und –auswahl“.
Über meinen Gesprächspartner:
Joachim ´Jo´ Diercks ist Geschäftsführer der CYQUEST GmbH – The Recrutainment Company. CYQUEST entwickelt webgestützte Instrumente für den Einsatz in Employer Branding und Personalauswahl (“eAssessment”) für eine Reihe namhafter Unternehmen, Hochschulen und Einrichtungen. Er ist Gastdozent für Personalmanagement und webgestützte Eignungsdiagnostik an der Hochschule Fresenius in Hamburg. Diercks studierte BWL an den Universitäten Hamburg und Berkeley und ist Autor verschiedener Fachartikel und Herausgeber des Buches „Recrutainment: Spielerische Ansätze in Personalmarketing und –auswahl“, sowie regelmäßiger Referent bei Fachkongressen zu E-Recruiting- und Social Media-Themen.
Er bloggt unter http://blog.recrutainment.de
und twittert unter http://twitter.com/recrutainment