Das es im Personalmarketing und Recruiting noch Luft nach oben gibt, daran besteht wohl kaum Zweifel, wenn man sich ansieht wie die breite Masse der Unternehmen agiert. Wie man etwas daran ändern kann, darüber hat Jörg Buckmann, seines Zeichens innovativer Leiter Personalmanagement der Verkehrsbetriebe Zürich, ein Buch geschrieben. Das „Frechmut“ Konzept des Autors hat medial gesehen für Aufsehen gesorgt. Vermutlich besonders weil der Schweizer selbst ein sehr glaubwürdiges Beispiel des von ihm geforderten frechmutigen Personalers ist.
Über die genante Idee und darüber was sie im Personalmarketing tatsächlich bewirken kann habe ich mit Jörg Buckmann gesprochen.
Jörg Buckmann hat in Sachen innovative Personalgewinnung schon so manches getan. Konsequenterweise hat er nun kürzlich ein Buch dazu veröffentlicht unter dem Titel „Einstellungssache: Personalgewinnung mit Frechmut und Können“. Sein Aufruf bzw. seine Anleitung für mehr „Frechmut“ im Personalmarketing hat in Fachmedien und HR-Blogs viel Widerhall gefunden. So viel sogar, dass ich hier und heute interessiert bin nachzufragen was denn nun aus der Idee wird bzw. geworden ist. Jetzt, da sich nun gewissermaßen der erste aufgewirbelte „Frechmut-Staub“ etwas gelegt zu haben scheint. Wo sonst als als hier auf dem metaHR-Blog könnten wir demnach so schön auf die Metaebene gehen, oder? Und: Sorry, der Spruch musste sein ;-)
Das Interview:
Christoph Athanas (metaHR):
Hallo Jörg, Dein Buch „Einstellungssache: Personalgewinnung mit Frechmut und Können“ ist vor einigen Wochen erschienen. Man kann wohl behaupten, dass Dein „Frechmut“-Konzept einiges an Staub aufgewirbelt hat, zumindest in der digitalen HR-Szene. Ich persönlich freue mich natürlich sehr für Dich, nicht zuletzt, weil Du die Ur-Idee ja auf dem HR BarCamp 2013 hattest und da fühle ich mich logischerweise mit der Genese der Idee in besonderer Form verbunden. Aber mal abgesehen von solchen netten Geschichten nebenher möchte ich gern von Dir erfahren wie Deine Eindrücke nach dem Erscheinen Deines Buches sind. Was hat es aus Deiner Sicht bewirkt bzw. was wird es noch bewirken etc.? Solche und ähnliche Fragen warten darauf von Dir beantwortet zu werden…
Zum Einstieg möchte ich Dich kurz bitten für alle Leser/innen des metaHR-Blogs noch kurz zu erklären worin genau Deine „Frechmut“-Idee besteht?
Jörg Buckmann:
Gerne. Der Frechmut-Cocktail besteht aus fünf Essenzen: Frech, Mut, Leidenschaft, Ego und Tun. Diese sind, jede Eigenschaft für sich, nun ja nicht neu. Ich mixe sie einfach neu zusammen. Die Einen sind im Kontext mit Personalarbeit vielleicht schon eher genutzt, andere noch (zu) wenig. Die vielleicht verblüffendste Essenz ist sicher „Ego“. Gerade wir Personaler rücken ja die Teamarbeit immer so in den Vordergrund. Wir, das Team, die Mannschaft, unsere Abteilung. Ich versuche, das schlechte Image einer gesunden Portion „Egoismus“ etwas gerade zu rücken. Denn „Ego“ sorgt unter anderem für den wertvollen Turner-Effekt. Diese fantastische Wortschöpfung stammt von Robindro Ullah, er ist meine Galionsfigur für die Essenz „Ego“. Galionsfiguren… Essenzen… Ego… kaum angefangen, habe ich mich schon verloren. Ach was, weißt Du was, Christoph? Hier sind die fünf Essenzen (ich hoffe doch) gut und präzise beschrieben
CA, metaHR:
Danke für diese kleine Einführung. Wie gesagt, würde ich gern etwas reflektierend auf das Thema „Frechmut“ und Personalmanagement schauen. Wie waren die Reaktionen, welche Du auf das Buch bekommen hast. War da nur Zuspruch oder gab es auch Skepsis?
JB:
Die Reaktionen waren eigentlich unglaublich. Die „Personalmarketingsuppe“ hat nicht nur positiv und wohlwollend reagiert, sondern auch tatkräftig mitgeholfen, das Buch bekannt zu machen – so wie Du jetzt auch. Meine Frau lacht jetzt sicher, weil sie immer mit einem sagt, dass sich wir Blogger uns sowieso immer gegenseitig „abloben“. Aber ich meine es ernst, viele haben so wie Du selber Bücher herausgegeben – von Futterneid oder so war nie auch nur im Ansatz etwas spürbar. Natürlich hat sich auch mein Schachzug ausbezahlt, die kritischsten Geister ganz einfach als Gastautoren einzubinden und so quasi „mundtot“ zu machen (lacht schallend). Überrascht hat mich, dass es mir mit dem Buch offenbar aber ganz gut gelingt, die Grenzen jener, die sowieso für das Thema affin sind, weiter zu ziehen. Das Medienecho ist groß und es sind nicht nur HR-Gazetten, die darüber berichten. Das kritischste Feedback kam von Svenja Hofert (Anmerk.: worin sie lediglich bemängelt, dass Jörg Buckmann nicht das ganz Buch selbst geschrieben hat und die Gastautoren darin für nicht nötig befindet) und es hat mich ganz ehrlich sehr gefreut. Als erfahrene Autorin weiß sie, wovon sie spricht – ihr differenziertes Feedback habe ich sehr gerne angenommen. Dank und mit dem Buch habe ich schon viel Neues erlebt. Buchvernissagen zum Beispiel. Bücher signieren (war mir fast etwas peinlich). Ich spüre überhaupt sehr viel Respekt dafür, dass ich neben meinem Job so eine riesige Arbeit angepackt und durchgezogen habe. Und ich merke, dass der Frechmut-Spirit Kraft hat. Die Wortkreation hat Energie und löst Assoziationen aus. Das ist einfach wunderbar.
CA, metaHR:
Allerdings: „Frechmut“ hat sich als geflügeltes Wort herumgesprochen. Das ist eine tolle Leistung.
Aber lass uns ein wenig weiter reflektieren. Daher, was meinst Du: Wie viel vom dem Konzept oder welche Bestandteile der Frechmut-Idee haben die besten Chancen in der Breite der Personaler-Landschaft gelebt zu werden?
JB:
Schwierig zu sagen. Ich möchte und kann die Frage so kaum beantworten. Ich denke, der Frechmutgedanke wird sich hoffentlich als Ganzes, als eine Art frische und Grenzen sprengende Denkhaltung im einen oder anderen HR-Kopf festsetzen. Das müssen gar keine wahnsinnig großen Projekte oder Ideen sein. Frechmut als eine Denkhaltung, die das „Tun“ in den Vordergrund rückt und weniger das Lamentieren, beginnt im Kleinen. Im eigenen Umfeld, nicht in jenem der Anderen. Es gibt sie ja schon, die leidenschaftlichen Personalerinnen und Personaler, die mit spürbarer Freude ihrem Job nachgehen, experimentieren und Neues ausprobieren. Ich habe 13 davon als Gastautoren bzw. als Gastautorin zusammengetrommelt. Wenn ich da die Namensliste blättere – da kommt unglaublich viel Wissen, Mut und Leidenschaft rüber. Es gibt aber noch viele mehr kreative HR-Menschen und ich bin ein Optimist und glaube fest daran, dass diese Gruppe wächst. Und wenn ich mit meinen Frechmutgedanken den einen oder anderen Samen der Inspiration pflanzen kann, dann wäre das ganz einfach wundergut! Okay, mal angenommen, Du würdest mich jetzt auf eine der fünf Essenzen „festnageln“ wollen – die vielleicht wichtigste ist das „Tun“. Ich glaube, der Druck wird auf uns HR’ler zunehmen. Wir müssen Lösungen bringen, das Jammern wird weniger und weniger akzeptiert. Dazu gehört das Experimentieren mit Neuem – und damit einhergehend das Entwicklen von Nehmerqualitäten, wie man im Boxen so schön sagt. Wer wagt, gewinnt. Aber halt nicht immer. Davon kann übrigens die Galionsfigur für „Tun“ ein Lied singen. Hans-Christoph Kürn bringt es auf den Punkt: „Ich wurde schon oft verprügelt“. Wer den Powermensch Kürn kennt, kann also ganz beruhigt mal etwas riskieren und unbekannte Wege gehen. Denn wenn man nach „Prügeleien“ noch so vital und „frisch“ wie der Siemens-Manager ist, ja dann kann es so schlimm ja nicht sein.
CA, metaHR:
Welche konkreten Unterstützungen braucht es für „Frechmut“-umsetzungswillige HR-Vertreter/innen aus Deiner Erfahrung?
JB:
Oft gibt es ja keine „Patentrezepte“, in dieser Frage hingegen schon und das macht Hoffnung. Hier geht es zum Patentrezept. Und wenn es nicht hilft, dann hilft das hier bestimmt. Ganz sicher. Oder fast.
Was von diesen Büchern abgesehen aber sicher alle Frechmutigen brauchen, ist Support und Rückendeckung. Das muss man sich erarbeiten, man kriegt diese Freiräume in der Regel nicht einfach geschenkt. Da kommt mir der Tipp von Barbara Armann in den Sinn, meiner Galionsfigur für „Mut“. „Werden Sie Missionarin oder Missionar“, rät sie der Personalwelt und meint damit das unermüdliche Missionieren für seine Anliegen, Projekte und Ideen. Aber natürlich braucht es auch immer ein große Portion Glück dabei. Nicht jeder hat wie ich einen Chef, der einen nicht nur machen – auch Fehler machen – lässt, sondern auch noch coacht und unterstützt. Das ist ein Privileg, ich weiss das. Wie sagt man so schön?! Die dümmsten Bauern haben immer die grössten Kartoffeln (lacht laut und lang).
CA, metaHR:
Ok, Support und Rückendeckung sind sicher wichtige Zutaten. Auch muss man sich diese Erarbeiten bzw. Einfordern, dafür ist natürlich manchmal auch etwas „Mut“ erforderlich, auch wenn´s ein wenig selbstreferentiell klingt…
Und nun erlaube uns noch einen Ausblick. Was glaubst Du: Welche drei wichtigen Veränderungen werden die Arbeit in Fragen der Personalbeschaffung in den kommenden Jahren vermutlich am stärksten prägen?
JB:
Immer diese Hellseherfragen… ;-) Ich versuche es mal, Dir zuliebe.
1.Das Beherrschen der neuen Kommunikationsmittel und der digitalen Kommunikation ganz generell. Dazu gehört, dass man versteht, wie digitale Kommunikation funktioniert. Das Akzeptieren, dass Dialog wirklich heißt, in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Ich glaube nicht, dass wir in den nächsten sagen wir mal fünf Jahren grosse Sprügen machen werden, was die Plattformen angeht. Zum Glück, denn ich orte in der „digitalen Fitness“ vieler Personalisten großen Nachholbedarf. Nicht in allen HR-Disziplinen, aber in den recruitingnahen Bereichen sicher, braucht es viel mehr Marketing- und Vertriebsknow-how. Eine konsequent kundenorientierte Denke. Flair für Kampagnen. Und, Achtung, bitte festhalten, Schreibtalente. Einen komplizierten Sachverhalt klar, unmissverständlich und erst noch so aufzuarbeiten, dass man den Text gerne liest, ja das wird in Zeiten von Blogs und 1-to-1-Kommunikation wieder so richtig wichtig.
2.Weiter wird uns ganz sicher die Frage umtreiben, wie wir ältere Mitarbeitende länger und gesund im Unternehmen halten können. Dazu braucht es neue Ansätze in den Zeitmodellen und den Rentenregelungen. Zudem müssen junge Chefinnen und Chefs lernen, mit diesen Zielgruppen umzugehen (so wie umgekehrt die „Älteren“ mit der Gen Y umgehen können müssen). Es geht also ganz konkret um Aufklärung und den Abbau von Vorurteilen. Bei der Arbeitszeit geht es auch um eine Entflechtung und Flexibilisierung – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, um in den Ballungszentren den Verkehrskollaps zu verhindern.
3.Vermutlich müssen wir endlich lernen, professionell mit (Kenn-)zahlen umzugehen. Mir graut davor – nicht gerade meine Leidenschaft…
Christoph, so „bedrückt aufzuhören, ist nicht schön. Lass mich zur allgemeinen Aufmunterung noch eine stilvoll humoristische Intervention machen… Ein bisschen Lachen tut immer gut – gerade auch uns im HR. Auch das ist übrigens Frechmut: Mit Anderen zusammen Lachen – und vor allem auch über sich selbst. (-> Video siehe unten)
CA, metaHR:
Danke, Jörg, für wie immer heitere und interessante Einsichten. Und nun, in bester Buckmann-Manier, zum Wunsch-Video meines Gesprächspartners: Der Schweizer Kult-Komiker Emil…
Über meinen Gesprächspartner:
Jörg Buckmann, 44, ist seit 2007 Leiter Personalmanagement der Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ). Das Unternehmen wurde in den letzten Jahren für seine Personalwerbung mehrfach ausgezeichnet, so unter anderem vom Queb für die „Beste Recruiting Kampagne 2011“ und mit zwei HR Excellence Awards (2012), einem HR Excellence Award (2013) sowie als „Best Recruiter“ in ihrer Branche (2014). Jörg Buckmann ist dipl. Leiter Human Rescources und hat ein Nachdiplomstudium FH in Dienstleistungsmanagement abgeschlossen. Der humorvolle Schweizer ist seit fast zwei Jahren begeisterter Blogger und jetzt auch Buchautor.