Kulturwandel im Recruiting – mit Folien des Vortrags

Etwa drei von vier Unternehmen befinden sich laut eigenen Angaben gegenwärtig im Kulturwandel. Bedingt durch Demografie und Digitalisierung vollziehen sich teils gewollte, teils erzwungene Veränderungen.
Was bedeutet der Kulturwandel für die Personalbeschaffung? Kann Recruiting vielleicht sogar ein Treiber für den Kulturwandel sein? Welche Bedingungen greifen und wie und wo muss sich die Recruiting-Disziplin selber hinterfragen? Auf der diesjährigen Zukunft Personal hielt ich genau hierzu einen gut besuchten Vortrag. Aufgrund mehrerer Nachfragen im Anschluss an meine Rede habe ich mich entschlossen dem Thema diesen Artikel zu widmen. Am Ende des Beitrags finden sich meine Folien vom Vortrag auf der Messe.

 

Schon der antike Philosoph Heraklit erkannte, dass Wandel das einzig Beständige ist. Seine griffige Formel panta rhei („Alles fließt“) gilt heute mehr den je. Unternehmen, Organisationen und die gesamte Arbeitswelt sind andauernden Veränderungen unterworfen. Das Personalmanagement insgesamt und dabei an vorderster Front die wichtige Recruiting-Funktion bekommen das zu spüren. Doch liegt in jeder Veränderung bekanntlich eine Chance. Kann also Recruiting möglicherweise statt vom Getriebenen zum Treiber werden? Ich bin davon überzeugt. Dafür allerdings benötigt es eine eingehende Auseinandersetzung mit den aktuellen Gegebenheiten und Auswirkungen, welche globale Megatrends wie Wertewandel oder Digitalisierung bewirken und welche konkreten Situationen sie für Unternehmen und deren Personalbeschaffung bringen. Ferner sind daraus Anforderungen an die Recruiter abzuleiten. Vor allem ein neues Rollen-Set und das Hinterfragen von eigenen Einstellungen betrachte ich hier als Basics. Gelingt dies können Aktivitäten neu ausgerichtet werden und Kulturwandel wird gestaltbar – auch aus der Perspektive der Personalbeschaffung.
Die folgenden Zeilen beschreiben in Kürze meine Gedanken zum Thema und ergänzen die am Ende eingefügten Folien meines Vortrages:

Ausgangslage für Unternehmen und die Recruiting-Funktion
Arbeitgebern und ihren Recruitern begegnen die folgenden, mittlerweile recht häufig gehörten Veränderungen. Der Vollständigkeit halber nenne ich sie hier dennoch als einleitende Rahmenbedingungen kurz:

  • Demografischer Wandel: Bis zum Jahr 2030 werden in Deutschland ca. 3 Millionen Erwerbstätige fehlen.
  • Digitale Revolution: Geschäftsmodelle, aber auch Personalsuche und –gewinnung werden mit steigendem Tempo durch technologische Impulse verändert.
  • Marken, Identitäten und Kultur spielen eine zunehmende Rolle im Wettbewerb, auch für Arbeitgeberwettbewerb.
  • Neue Bewerbergenerationen: Gesteigerte und veränderte Erwartungen werden an Arbeitgeber gerichtet. Dies gilt gerade auch im Hinblick auf Rekrutierungsverhalten, das Schlagwort Candidate Experience lässt grüßen.

Kulturwandel in Unternehmen
Vor dem Hintergrund der oben genannten und einiger weiterer, z.B. branchenspezifischer Entwicklungen sind Kulturwandelprozesse bereits jetzt bei vielen Organisationen im Gange. In der aktuellen Studie „Rethinking HR – Transforming Organization and People” von BCG, Egon Zehnder, der Quadriga Hochschule Berlin und dem Bundesverband der Personalmanager (BPM) bestätigen 75% der rd. 1300 befragten C-Level bzw. Führungskräfte, dass sich in Ihrer Organisation ein solcher Wandel vollzieht. Dabei kommt immer mehr ins Bewusstsein, dass dem Thema Unternehmenskultur selbst die größte Bedeutung zukommt und es entsprechend starke, wettbewerbskritische Effekte zeitig. In meinen Beiträgen „It´s the Culture stupid“ von 2015 und „Unternehmenskultur zahlt sich aus, sagen auch die Zahlen“ von 2016 gehe ich im Detail darauf ein und lege dar, was die Wissenschaft längst über die positiven Einflüsse von gesunder, positiver Unternehmenskultur weiß. Zurück zur Perspektive der strategischer Führungskräfte: Einer anderen, ebenfalls recht aktuelle Studie, dem „Global Human Capital Trends Report 2016“ von Deloitte nach erkennen 82% der Unternehmensleitungen im Faktor Kultur einen potenziellen Wettbewerbsvorteil für Ihr Unternehmen. Gleichzeitig berichten nur 12% dieser befragten Top-Manager, dass ihre Organisation bereits die passende Kultur hätte. Kulturwandel für Unternehmen ist demnach eine globale Herausforderung. Meine eigene These, wonach Unternehmenskultur absehbar der neue USP für Arbeitgeber sein wird, passt hier wie die berühmte Faust aufs Auge.

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Bedeutung der Recruiting-Funktion
Recruiting kann unzweifelhaft Kulturwandel im Unternehmen befördern und mit gestalten helfen. Voraussetzung dafür ist, dass die Recruiting-Funktion einen eigenen, inneren Kulturwandel vollzieht. Das dieser häufig noch nötig sein dürfte sagt bspw. die Zahl von nur 17% der Bewerber, welche finden, dass Arbeitgeber sich Mühe geben ihre Bedürfnisse als Bewerber zu verstehen (siehe unsere Candidate Experience Studie). Bewerber und deren Interessen als wichtigste Stakeholder des Recruitings müssen einfach ins Zentrum des Handels dieser Unternehmensfunktion gestellt werden. Das dürfte die ultimative Anforderung an Recruiting sein. Gleichfalls muss die Personalgewinnung endlich strategisch werden und bestens ausgestattet sein und zwar finanziell wie kompetenztechnisch. Letztlich zahlen sich diese Investitionen in exzellentes Recruiting aus in Form von besserem Ertrags- und Umsatzwachstum (vgl. z.B. Studie von BCG und WFPMA, 2012).

Konsequenzen für das Recruiting: Neue Herausforderungen, neue Rollen
Soll Recruiting also eine aktive und gestalterische Rolle einnehmen, um damit seinerseits beim Kulturwandel in den Organisation hilfreich zu sein, muss sich Recruiting mit den Konsequenzen des Wandels in seinem Bereich produktiv auseinandersetzen.

  • Mehr Wettbewerb um Talente, d.h. Recruiting muss schneller, attraktiver und nachhaltig erfolgreicher werden
  • Mehr Technologie, d.h. Recruiting-Verantwortliche müssen digitale Recruitingsstrategien verstehen und auswählen helfen
  • Neue Technologien, d.h. Recruiter müssen sich digital weiter bilden und hier kontinuierlich am Ball bleiben
  • Veränderte Erwartungen, d.h. Recruiting-Prozesse müssen kandidatenorientierter werden
  • Erweiterte Erwartungen, d.h. Recruiting muss gegenüber Kandidaten (und in Teilen auch mit den Hiring-Managern) mehr an Miteinander schaffen und Augenhöhe mit Kandidaten herstellen.

Um diese Herausforderungen bestmöglich zu bestehen wird sich die Recruiting-Funktion als ganzes weiterentwickeln müssen. Genauso sind die Recruiterinnen und Recruiter aufgerufen neben einem guten und aktuellen Überblickswissen in ihrem Feld sich in ein oder zwei Bereichen zu spezialisieren. Über die gesamt Talent Aquisition Pipeline betrachtet erreicht Recruiting mittlerweile eine Komplexität, welche es zwingend erfordert Spezialisten an Bord zu haben, wenn man exzellente Ergebnisse erreichen möchte. Eine konsequente Spezialisierung der Recruiter ist schon ein wenig Kulturwandel für sich. Vor allem, wenn eine solche Spezialisierung neben klassischen Recruiter-Rollen wie bspw. Beurteiler oder Auswähler auch 1 oder 2 der folgende neue Recruiter-Rollen einschließt:

  • Marketer
  • Digital-Versteher
  • Kommunikator
  • Vernetzer
  • Talent-Hunter

Über die Erfordernis dieser neuen Recruiter-Rolle hatte ich hier im Sommer dieses Jahres bereits ausführlicher geschrieben.

Neues mind set im Recruiting
Der entscheidende Wandel ist aus meiner Sicht der innere Wandel, d.h. das mind set mit welchen Recruiter ihre Welt annehmen und in dieser handeln. Hier kann Recruiting und darüber hinaus gedacht auch Talent Management zum echten People Business werden. Unter dem Label „mind set“ gilt es aus meiner Sicht vieles zu hinterfragen und sich in Teilen neu auszurichten, wenn man einen Kulturwandel im Recruiting selbst erzeugen möchte und darüber hinaus einen solchen im Unternehmen positiv befördern mag. Die Liste möglicher Denkanstöße die es bereits hierzu in der Vergangenheit gab ist groß. Zahlreiche hervorragende Artikel von HR-Blogger-Kollegen griffen dieses Thema unter einer Vielzahl von Perspektiven direkt und noch häufiger indirekt auf. Exemplarisch möchte ich hier auf die Beiträge von Michael Witt (Die Vermessung des Recruiting – Big Data als Game Changer) von Marcus Reif (Recruiting erfordert Erfahrung, Seniorität und Haltung – Der Neo-Recruiter) und von Henner Knabenreich (Candidate Experience Experten dringend gesucht!) verweisen. Es gilt hier schlicht das Stete-Tropfen-Prinzip… Meine Einlassungen folgenden im letzten Abschnitt überblicksartig.

Was wir im Recruiting hinterfragen sollten
Ich selbst habe im Rahmen meines Vortrages zahlreiche Anregungen vorgestellt und teilweise mit Beispielen versehen, wie und wo das mind set im Recruiting sich wandeln sollte bzw. wo eingefahrene Denk- und Handlungsweisen hinterfragt gehören. Der nachfolgende Foliensatz gibt Aufschluss. In Stickpunkten liste ich hier einige dieser Gedanken auch noch einmal auf:

  • Wie muss ein „guter“ Recruiting-Prozess aussehen?
  • Benötigen wir immer Anschreiben und klassischen Lebenslauf? Wenn ja, ab wann?
  • Sind Bewerberinterviews auch per Video denkbar? Vielleicht sogar zeitversetzt?
  • Können wir die Jobsuche per Smartphone aktiv unterstützen? Was muss dazu passieren?
  • Akzeptieren wir auch Kurz-Bewerbungen per Mobile?
  • Wie geben wir potenziellen Bewerbern Orientierung abseits von PR-Sprech?
  • Welche Bewerber akzeptieren wir? Werden „gebrochene“ Lebensläufe zugelassen?
  • Nehmen wir die Bewerber wirklich ernst? Richten wir Prozesse konsequent nach Bewerberwünschen aus?
  • Wie gut sind wir uns unseren eigenen Wahrnehmungsverzerrungen bewusst?
  • Lassen wir uns von professionellen Werkzeugen bei der Personalauswahl helfen?
  • Kommunizieren wir den eigenen Arbeitgeber authentisch und lebhaft? Umgehen wir das typische Differenzierungsproblem gängiger Arbeitgeberkommunikation aktiv und trauen wir uns Ecken und Kanten zu zeigen?
  • Bieten wir Jobsuchern Cultural Contents über das Unternehmen an, damit diesen klar wird auf was für einen Unternehmenskultur sie sich einlassen müssten?
  • Bieten wir Cultural-Fit Self-Assessment-Möglichkeiten an, wie bspw. die Kindernothilfe dies erfolgreich und preisgekrönt tut?
  • Setzen wir aktiv und gezielt auf digitale Werkzeuge im Recruiting?
  • Kennen wir Reichweiten und Conversion-Rates von bspw. unseren Stellenanzeigen?
  • Entwickeln wir unser eigenes Netzwerk aktiv?
  • Gehen wir auf Event wo innovative Personalarbeit Thema ist und Praktiker sich austauschen? (Zum Beispiel hier, über die HR BarCamp-Gruppe auf XING)
  • Sind Sie als HR-Profi auf Twitter und lesen und teilen dort regelmäßig top-aktuelle Fachinfos?
    Übrigens: Jene letzte Frage, die ich eher zum Aufruf machte und mache auf Twitter dabei zu sein, wurde ganz nebenbei der am meisten gelikte und geteilte Tweet der gesamten Zukunft Personal 2017, siehe unten und meinen Dank an Nicola Peschke. Wenn das so viele ähnlich sehen, macht das doch Hoffnung ;-)


Die Folien meines Vortrages:
Kulturwandel in Unternehmen – Kulturwandel in der Personalbeschaffung

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Foto: „Chamaeleo chamaeleon“ CC BY-SA 2.0 by Álvaro Rodríguez Alberich