Der Weg zur einfachen Organisation: Mitunternehmer statt Befehlsempfänger. Ein Gespräch mit Heiko Fischer von RH.

heikofischerMit „Kill HR“ hat es angefangen. Heiko Fischer forderte von Human Resources zu Resourceful Humans zu kommen und die Verantwortung konsequent an die operativen Teams zu delegieren. Mittlerweile dreht er ein größeres Rad und bietet eine radikale und systematische Transformation für ganze Unternehmensorganisationen an. In einem sehr persönlichen Gespräch erzählt er von seinem Change-Beratungsansatz und von den Erfahrungen damit in der Zusammenarbeit mit Haufe-Umantis und T-Mobile.

 

Es wird viel gesprochen und geschrieben über den notwenigen Wandel von Unternehmenskulturen und Organisationsarchitekturen. Sie sollen agiler oder digitaler oder demokratischer werden oder gleich alles zusammen. Wie viel Wandel und mit welcher endgültigen Konsequenz bleibt dabei oft schleierhaft. Heiko Fischer und Team haben hierzu klare Vorstellungen und bieten Lösungen für solchen Change. Er möchte mit seinem Resourceful Humans Ansatz Organisationen gefühlt wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Damit sollen Organisationen entbürokratisiert und an einfachen, klaren wie gleichwohl wirksamen Prinzipien ausgerichtet werden. Diese, von Heiko als RH-Way bezeichneten Maßnahmen und Philosophien, verstehen sich als praktische Übersetzung der oft so notwendigen Forderungen nach der Transformation von Unternehmen. Ziele sind mehr Agilität bei geringerer Komplexität verbunden mit Mitarbeiter- und Kundenzentrierung. In der Endkonsequenz eine humanere und leistungsfähigere Organisation. Eine Besonderheit dieser Form der Organisationsentwicklung ist der gleichzeitige Einsatz bestimmter verblüffend effektiver, digitale Tools, welche Resourceful Humans bereitstellt.

Heiko und ich kennen uns bereits seit 2011. Er hat in dem von Prof. Nele Graf und mir gemeinsam herausgegebenen Buch „Innovative Talentstrategien“ quasi das Schlusswort gehabt, indem er seinen Ur-Gedanken zum Thema Resourceful Humans in einem unterhaltsamen Beitrag am Ende des Buches dargelegt hatte. Leider hatte ich dennoch bis dato noch kein Interview für mein Blog mit ihm gemacht, dabei schreibt Heiko nicht nur gut, sondern ist auch ein wirklich spannender Gesprächspartner. Ich freue mich nun die besagte Interview-Lücke geschlossen zu haben indem ich hier im meta HR Blog publiziere, was wir über organisationalen Wandel, Resourceful Humans und einen ganz speziellen U-Boot-Captain gesprochen haben.

Das Interview: long read, good read ;-)


Christoph Athanas, meta HR: Hallo Heiko, es freut mich Dich endlich im Interview für mein Blog zu haben. Du sprichst mit dem von Dir entworfenen Resourceful Humans Ansatz deutlichen Veränderungen in Unternehmen das Wort. Sage meinen Leserinnen und Lesern bitte in Deinen Worten worum es Dir geht und warum sich Unternehmen dem stellen sollten?

Heiko Fischer, RH: Hmm, wie umschreibe ich den RH-Way ohne Bullshit Bingo? Ich sag’s mal aus der persönlichen Sicht die als Mitgründer unsere Firma erdet; meine Welt ist eine positive, voller Möglichkeiten, durch den Spass und den Entwicklungsmöglichkeiten die mein Vater bei der Firma Hewlett Packard genossen hat. Er hat sich vom kleinen Buchhalter bis zum Personalvorstand hochgearbeitet. Und kam immer mit einem Lächeln nach Hause, voller Energie und des Lobes für den Beitrag den HP in der Welt stiftete, von Taschenrechnern die im Space Shuttle benutzt wurden bis zu PCs die das digitale Zeitalter mit eingeläutet haben. Unsere Familie war in vielerlei Hinsicht eine glückliche, durch den HP-Way, der Management Philosophie von Bill Hewlett und Dave Packard. Die Kollegen meines Vaters waren auch seine Freunde, sie spielten Fußball und grillten zusammen – trotzdem oder gerade deshalb arbeiteten sie mit enorm viel Respekt und Ehrlichkeit zusammen. Das Unternehmertum der Organisation HP profitierte von der Auflösung zwischen Privat und Arbeit – es war schlicht ‘ein Leben’ in unterschiedlichen Dimensionen. Doch gerade dadurch waren alle mit dem Herzen dabei. Ein scheinbares Utopia, das oft Ungläubigkeit hervorruft.
Doch genau aus dieser optimalen Weltsicht heraus, dass Arbeit ein wichtiger positiver Pfeiler einer Gesellschaft, ja einer Familie sein kann, haben wir die Grundprinzipien, die sogenannten 1st Principles, von HP und anderen menschengerechten Unternehmen wie WL. Gore, Morningstar und SEMCO herausdestilliert. Die 1st Principles sind einfach und jenseits von Methoden wie Agil, Design Thinking, LeanStartup usw. Tatsächlich sind sie die Quelle dieser Ansätze: Gib’ guten Menschen eine Wahl und sie übernehmen Verantwortung. Schaffe radikale Transparenz und fordere Rechenschaft ein. Halte die Dinge klein und einfach und befähige direkte Vernetzung. Jeder Unternehmensführer begreift das unternehmerische Potential eines solchen Organisationsprinzips. Wo sie Hilfe brauchen ist den Status Quo zu transformieren, zu skalieren und ihre eigene Rolle neu zu definieren. Da kommen wir ins Spiel.

C.A.: Danke für diese sehr persönliche und in der Tat buzzwordfreie Einführung. Du gehst mit Resourceful Humans (RH) den eben schon angeschnittenen Weg. Ein interessanter Weg, welcher nach meinem Verständnis ein Mix aus Change-Philosophie und smarten digitalen Tools beschreibt. Zudem bist Du selbst als Speaker bekannt. Das sind recht viele Elemente. Sag uns doch bitte kurz, wo man Euch mit Resourceful Humans einordnen soll bzw. was Unternehmen in der Zusammenarbeit mit Euch erwarten können?

H.F.: Ha! Kurz? Das ist eine schwierige Frage mit der sich unser Team gerade zwei Tage offsite selbst beschäftigt hat. Die wirklich erfolgreichen Firmen haben einen kristallklaren Vision, adaptieren nur ihre Strategie. Das versuchen wir zu verinnerlichen. Denn auf der einen Seite agieren wir an der Schnittstelle zwischen Beratung und Technologie, sogar Coaching und Videogames spielen mit hinein. Auf der anderen Seite sind wir Bootstrapper ohne Fremdkapital müssen jeden Pfennig zweimal umdrehen und uns 100% fokussieren. Wir nennen unsere Wagniskapitalgeber einfach “Kunden”. Am einfachsten ist es daher uns über den Wertbeitrag bei ebendiesen zu identifizieren. Wer einen radikal besseren Weg der Organisationsführung leben will, einen als Netzwerk-Organisation und demokratischer “Auftragsführung” mit 100% Unternehmertum und 0% Bürokratie, der kommt zu uns. Wir sind der Tesla des Management.

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C.A.: “Der Tesla des Management“ gefällt mir schon mal gut. Wie ich weiß habt Ihr gemeinsam mit Haufe-Umantis an deren interner Demokratisierung gearbeitet, welche u.a. in der berühmt gewordenen Wahl des CEO durch die eigene Belegschaft gipfelte. Was hat RH zu diesem Prozess beigetragen?

H.F.: Ja, das war ein erster großer Schritt für uns. Wir uns haben damals nach dem Erfolg als HR Leiter bei Crytek mit Marc Stoffel und seinem Team zusammengesetzt und gefragt, wie man die Lektionen für Haufe-Umantis nutzen könnte. Es ging darum den Übergang vom Firmengründer Hermann Arnold zu einem Nachfolger zu nutzen um demokratische Strukturen einzuführen. Wir haben uns daher entschieden den RH-Way von innen heraus vorzuleben, haben dazu ein Produktinnovationsteam ins Leben gerufen, welches Angebote in Sachen Produktevolution und Organisationsevolution an die Teams intern geben sollte. Unser Team bestand aus RH und bunt zusammengewürfeltem Haufe-Umantis -Teammitgliedern. Wir wollten das System von innen infizieren. Wie bei jedem Erfolg war es auch hier das Team, das über Erfolg und Misserfolg entschieden hat. Zusammen mit dem Haufe Board haben Rade Kolbas, Kelly Max, Andreas Loroch, Ghislaine Couvreur und eben dem neu gewählten CEO Marc Stoffel haben wir die Haufe-Umantis-Kultur wie ein agiles Projekt angesehen, das sich stets weiterentwickelt, von, für und durch die Mitarbeitenden selbst. Wir nennen dies den moRHale Ansatz – ein kontinuierliches Change Management.
Unterfüttert wurde der Veränderungsprozess mit dem staRHs Feedback Tool, welches Mitarbeitern erlaubt jederzeit mit jedem Feedback zu teilen, verbunden mit einer virtuellen Währung. staRHs ermöglichte uns die Visualisierung des Feedbacks aller Haufe-Umantis Mitarbeiter untereinander und gibt so den Teams die Chance ihre Organisation als lebendes Netzwerk zu begreifen und zu gestalten. Wer wird als Change-Driver gewertschätzt, wer nicht? Ein unschätzbares Hilfsmittel!
Wir sind sehr stolz, dass unser Beitrag letztlich zum Haufe-Umantis Swarming Ansatz als kulturelles Betriebssystem und dem neuen Rhythmus von HR als Produkt führte – beides sehr, sehr coole Lösungen.

C.A.: Und was habt Ihr selber aus der Begleitung dieser Transformation bei Haufe-Umantis gelernt?

H.F.: Was haben wir gelernt? Diese Art Change ist hart, selbst in einer demokratisch so prädestinierten Organisation wie Haufe-Umantis und einem so überzeugten CEO wie Marc. Nicht jeder wird ihn mitgehen können. Erstens haben wir gelernt gewisse Elemente nicht mehr optional zu machen. Es mag paradox klingen, doch manche Spielregeln und Entscheidungen muss der CEO bretthart einführen und durchsetzen ohne sie zur Debatte zu stellen. Die Einführung einer demokratischen Organisation ist nicht 100% demokratisch. Zweitens, Speed! Die Einführung muss in einer guten Pace geschehen, mit klar spürbaren Veränderungen für jeden. Man darf nicht zu zögerlich agieren, es muss einen klar definierten Punkt des No-Return geben. Wir nennen ihn “Kicking out the Ladder”. Du sitzt dann auf dem Heuboden ohne Leiter und musst dich mit der Situation beschäftigen, nicht mehr mit dem “ob”. Drittens, Change muss im Business verankert sein. Zum Beispiel haben wir im nächsten Projekt mit T-Mobile alles an einem 5-Minuten Hack aufgebaut. Können wir durch die neue Mitunternehmerstruktur zu einem Quantensprung in der Kundenzentrierung zurückfinden – jeden Kunden in 5 Minuten oder weniger erfolgreich zu bedienen? So wird alles realistisch.
Summa sumarum – es hängt alles an der Qualität des CEO. Er oder Sie befüllt das “Warum” des Change mit Leben. Und hiermit möchte ich den zwei demokratisch gewählten CEOs von Haufe-Umantis Marc Stoffel und Kelly Max nochmal meinen Dank und meine Bewunderung aussprechen. Der Prozess war nicht leicht und es ist nicht easy das Ego rauszunehmen, doch diese beiden sind smart, echte Kämpfer und tolle Typen. Es war mir und meinem Team eine Ehre Haufe-Umantis zu helfen und ich denke Pioniere wie Bill und Dave währen stolz auf sie.

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C.A.: Eure Learnings klingen sehr einleuchtend. Allerdings mag man einwerfen, dass Veränderungen in kleineren Einheiten, wie eben einer Haufe-Umantis, verhältnismäßig einfach machbar sind verglichen mit Konzernen. Wie steht es mit Euren Erfahrungen bei der Transformation von größeren Organisationen. Du hast mir erzählt, dass es eine Zusammenarbeit mit T-Mobile gibt. Wie hat sich dieser Case für Euch gestaltet?

H.F.: Eigentlich sehr ähnlich. Es gibt dabei eine politisch komplexere Situation durch die Big Mama in Bonn, die man einbeziehen muss, ansonsten ist vieles wie bei Haufe, nur halt x20. Es wird viel geredet über “skaliert Agile, oder skaliert es nicht”, oder ist es doch “Agilität” die zählt. Da gibt es so viele Meinungen wie vermeintliche Experten. Wichtig ist es erstmal den Zynismus der sich in solchen Organisationen aufgestaut hat zu lösen und wieder einen Glauben in einen echten Change zu schaffen, der nicht nur Blablabla auf PowerPoints zeigt aber letztlich doch nur bedeutet; mehr Kohle liebe Leut’ und zwar nächstes Quartal.
Bzgl. Zynismus bedarf es eines Symbols. Bei T-Mobile war es die Asshole List. Die Betriebsratsvorsitzende Emma Chapman hat das Kind beim Namen genannt. Egal was wir tun, die Mitarbeiter haben im Zweifel denselben alten Sack als Chef wie vor 5 Jahren, der jede Veränderung aussitzt. Am Ende zählt, wer wird befördert, wer bekommt mehr Kohle, wer wird gefeuert oder geht. Also lasst uns alle Verhinderer rausschmeissen, bzw. ihnen die letzte Chance anbieten. Das hat einen Aha Effekt (siehe Zappos oder Netflix).
Das zweite Symbol war der vorher erwähnte 5 Minuten Hack. Eine Organisation dieser Größe beschäftigt sich am liebsten mit sich selbst, es ist von Nöten den Kunden wieder radikal in den Mittelpunkt zu stellen. Damit werden auf einmal die Kundendienstmitarbeiter und die Retail Angestellten in den Shops zu den wichtigsten Leuten im Change, denn sie haben den direkten Draht zum Brötchengeber – den Kunden. Zu oft werden Großorganisationen Sklaven ihrer Metriken und vergessen den gesunden Menschenverstand in der Hatz.
Drittens haben wir eine neue Technologie eingesetzt, sozusagen als Bürokratie und Politik Bunker-Buster; netwoRHk. Unser Tool erlaubt eine direkt Operation am offenen Herzen des Change, dem Performance Management. Mit netwoRHk kann jeder, basierend auf den Prioritäten des CEO und seines ExCos, Wertbeiträge vorschlagen und dafür Kollegen gewinnen. Alles wird in direkte Peer-to-Peer Arbeitspakte aufgedröselt und auch wieder visualisiert. Das heißt jeder sieht wer mit wem an was arbeitet und warum. Darüber hinaus muss jeder der gemeinsam an einem Wertbeitrag arbeitet jede Woche seine subjektive Einschätzung zum Status abgeben – ganz simple; rot oder grün. Wenn auch nur einer auf Rot setzt, wird das ganze Team rot. Das “schwächste Glied” entscheidet. Somit provoziert netwoRHk ein Netzwerk von verschworenen Teams, die sich immer auf dem Laufenden halten müssen und genau sehen wie ihr Beitrag – z.B. – einen 5 Minuten Hack positiv beeinflusst. Man ist kein Rad mehr im Getriebe, man ist Mitunternehmer. Bähm, da hats aber gescheppert bei der Einführung. Keiner kann sich mehr verstecken, oder wie meine geniale Omi sagte; Wenn die Bomben fallen und dein ganzes Viertel brennt, vergisst man das ganze Geschnatter und man misst jemanden an dem was er tut!

C.A.: Letzte Frage: Der RH-Ansatz inspiriert viele. Wo holst Du Dir Deinerseits neue Inspirationen fürs Business her? Gibt es bspw. ein Buch, welches Du gerade liest und empfehlen würdest?

H.F.: Wir haben einen superkalifragilistikexpialigetischen Partner der mit seinem Team unser USA Geschäft schmeißt und mit dem wir gerade ein unglaublich (!!) cooles Projekt angehen – Kapitän David Marquet. Er hat den RH-Way auf einem Nuklear U-Boot eingeführt und darüber geschrieben wie er so aus dem schlechtesten U-Boot der Navy das Beste aller Zeiten machte. Sein Buch heißt „Turn the Ship around“. Es ist der Hammer und jeder Manager muss es lesen.
Zeitlos gut und wichtig ist „Die Spinne und der Seestern“ von Ori Brafman. Bevor ich das Buch las hatte ich eine vague Intuition über Netzwerkorganisationen, danach habe ich sie verstanden.

C.A.: Danke für das Gespräch und die vielen interessanten Einblicke, Heiko.

H.F.: Es war mir ein Fest, Christoph.

 

Zusatzinfo: In Kürze spricht Heiko hier mit seinen Kunden in kurzen Videos über deren Erfahrungen mit dem RH-Change. Das Besondere daran ist, dass diese Interviews während der Fahrt in ganz besonderen Autos aufgenommen werden, welche Heiko selbst steuert. Das Format ist heißt „Leaders in Cars getting Coffee“ und ist inspiriert von einem US-Talkformat, was Heiko gern freigiebig mitteilt.

 

Über meinen Gesprächspartner:
Nach dem Studium in L. A., Paris und Kairo begann Heiko seinen Weg 2001 bei Hewlett Packard Barcelona im HR-Maschinenraum: der Personalbetreuung. Es folgten Management-Tätigkeiten bei Bayer, GM und eBay und einem Master in Organisational Change an der Ashridge Business School. 2008 kam er wie die Jungfrau zum Kinde und wurde Personalchef bei Europas größtem Computerspiele-Entwickler Crytek. Dort begann in weiten Teilen das Experiment der Demokratisierung. Impuls war die radikale Vereinfachung der Organisation durch Abschaffung meiner Human Resources-Abteilung und die Verantwortungsübergabe an die Mitarbeiter.
Aus HR wurde so RH, »Resource- ful Humans« (Menschen voller Ressourcen). So nannten er 2011 auch seine Firma, welche für seinen Ansatz und Technologie den HR Innovation Award gewann sowie den Titel “Maverick Approach” von Business Guru Gary Hamel.rh-logo