Die Evolution der Videointerviews oder es geht besser als Skype!

Hanna WeyerEin Gastbeitrag von Hanna Weyer.

Sogar ARD und ZDF teilen in ihrer Online-Studie 2014 mit, dass nicht nur 79%der Deutschen mittlerweile “zumindest gelegentlich” das Internet nutzen, sondern auch ebenso viele (75%) der Befragten Videodateien über das Internet abrufen. Spätestens jetzt sollte wohl jedem klar werden: das Bewegtbild ist eines der wichtigsten und stärksten Medienkanäle, die es momentan gibt. HR hat das erkannt, Employer Branding Videos sind schon längst der Renner, Realistic Job Previews werden von den Vordenkern genutzt und ein Großteil der Personalabteilungen nutzt regelmäßig Videointerviews für die Vorauswahl. Doch ist Skype dabei wirklich alles, was es gibt? Wie gut können Videointerviews wirklich sein, welche Formate gibt es und was sagen eigentlich die Kandidaten dazu? Der Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Fakten zum Thema Videointerviews.

Die zwei häufigsten Formen des Videointerviews
Videointerview ist nicht gleich Videointerview. Die zwei dominanten Formen des Videointerviews sind live und zeitversetzt. Live ist das klassische “Skype-Interview”, zwei oder mehr Personen sitzen zur gleichen Zeit vor dem Rechner und interagieren in einem live Gespräch. Zeitversetzt bedeutet, dass Bewerber und Recruiter nicht nur örtlich unabhängig voneinander sind, sondern auch zeitlich. Wie geht das? Recruiter formulieren die Fragen für eine Position, laden den Kandidaten ein und dieser kann das strukturierte Interview selbstständig beginnen und aufzeichnen. Im Anschluss werden die aufgezeichneten Antworten des Bewerbers für den Recruiter und ggf. Fachentscheider zur Bewertung freigeschaltet. Diese können sich dann flexibel und gemäß dem individuellen Kalender einloggen, bewerten und entscheiden, welche Kandidaten sie im nächsten Auswahlschritt sehen möchten.

Live und zeitversetzte Videointerviews schließen sich nicht aus
Diese zwei Formen des Videointerviews schließen sich nicht aus, sondern decken vielmehr unterschiedliche Stufen von Auswahlprozessen ab. Zeitversetzte Videointerviews dienen vor allem der Negativselektion zu Beginn des Auswahlprozesses (= ”Wer passt nicht zu den Anforderungen der Stelle?”) und schließen sich oft direkt an das CV-Screening der Kandidaten an. Unternehmen profitieren insofern davon, dass sie die Vorauswahl leichter standardisieren und vergleichbar halten, hohe Bewerbervolumen besser screenen und schnellere Entscheidungen treffen können – gerade wenn im Unternehmen viele Entscheider involviert sind, diese geographisch verteilt sitzen oder die Bewerber aus dem Ausland kommen. Live Videointerviews dagegen dienen vor allem der Positivauswahl in der Mitte, ggf. sogar zum Ende eines Auswahlprozesses (= ”Wer passt am besten zu den Anforderungen der Stelle?”) und können sich an das zeitversetzte Videointerview anschließen. Live Videointerviews sind besonders bei solchen Auswahlsituationen von Vorteil, wenn schwer zu besetzende Stellen vorliegen oder Anforderungen abgeprüft werden sollen, die Interaktion verlangen (z.B. Verhandlungsgeschick). Eine Übersicht des Vergleichs live vs. zeitversetztes Videointerview und der Überlegung was wann Sinn macht finden Sie hier.

Das ist wichtig für eine gute Auswahlentscheidung mit Videointerviews
Für gute Videointerviews gilt wie für jedes andere Auswahlinterview auch: wichtig sind Struktur, Anforderungsbezug der Fragen, Konsistenz im Prozess und wenn möglich auch das Mehr-Augen Prinzip (Levashina et al., 2014). Spätestens seit dem Klassiker von Schmidt und Hunter (1998) wissen wir, dass unstrukturierte Interviews eine deutlich geringere Validität (= Vorhersagegüte) aufweisen als strukturierte Interviews. Das bedeutet also auch beim Videointerview, dass den Bewerbern vergleichbare Fragen aus einem Fragenpool gestellt werden sollten, die Bewertung der Bewerberleistung im Videointerview auf vorher definierten Kriterien erfolgen sollte und das Bauchgefühl oder allzu subjektive Entscheidungen auch in Videointerviews keinen Platz haben dürfen. Im zeitversetzten Videointerview lässt sich das Mehr-Augen Prinzip, also mehrere Entscheider bewerten das Videointerview auf den gleichen Kriterien, in der Regel sehr leicht und zeitsparend umsetzen. Indem die Antworten aufgezeichnet werden, kann sich jeder Entscheider dann einloggen, wann es am besten passt, und die eigene Bewertung abgeben. Auch so wird eine größtmögliche Objektivität sichergestellt. Studien haben hier gezeigt, dass die Validität zeitversetzter Videointerviews im vergleichbaren Rahmen von standardisierten vor Ort-Interviews liegt (Evaluation mit der deutschen Telekom, 2013). Zeitversetzte Videointerviews sind also in ihrer diagnostischen Qualität genau gut wie strukturierte persönliche Interviews!

Videointerviews und AGG-Konformität
Ein großes Fragezeichen in den Köpfen von Personalentscheidern hinterlässt oft die Frage, ob das Interview via Video oder ggf. sogar die Aufzeichnung des Videos konform geht mit den Anforderungen des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Klare Antwort: Ja. Denn es ist nicht das Bild des Kandidaten, das zählt, sondern die Art und Weise wie diesem Bild begegnet wird (standardisiert vs. unstandardisiert). Wichtig ist hier vor allem der oben schon erwähnte Anforderungsbezug der Fragen und der Bewertung der Bewerberleistung auf anforderungsbezogenen Kriterien. Das bestätigte auch die Humboldt-Universität (Ziegler et al., 2013) in einer Studie. Das Ergebnis in Kürze berichtet: Bewerber mit und ohne Migrationshintergrund werden in ihren Antworten im zeitversetzten Videointerview ausschließlich basierend auf ihrer Leistung im Videointerview bewertet – der Faktor “Migrationshintergrund” hatte hier keinen Einfluss. Sie sehen es in der Grafik: ein Unterschied zeigt sich nur in der Qualität der Antworten (geeignet vs. ungeeignet), nicht jedoch zwischen den verschiedenen Bewerbergruppen.

grafik-gastbeitrag-viasto2015Voraussetzung hierfür: im Videointerview-Tool ist eine System hinterlegt, die den Evaluatoren die standardisierte Bewertung anhand der vorab festgelegten Anforderungskriterien ermöglicht.

Was Kandidaten an Videointerviews lieben – und was Sie fordern
Die Candidate Experience ist natürlich heute von entscheidender Bedeutung für jedes Auswahlinstrument und -tool, mit dem die Kandidaten in Berührung kommen. Wie das meta HR-Team in der gemeinsamen Studie mit Prof. Wald gefunden hat, sind es drei Eckpunkte, die wichtig sind für die Vertrauensbeziehung zwischen Unternehmen und Kandidat: Ergebnisorientierung, Transparenz und Kommunikation auf Augenhöhe. Die Ergebnisse einer Studie von der Universität Potsdam (Brenner, in Druck) zeigen außerdem, dass neben den klassischen Einflussfaktoren der Candidate Experience, die auf offline wie online Verfahren wirken, bei online- und technologisch-vermittelten Verfahren wie dem zeitversetzten Videointerview zusätzlich zwei weitere Einflussgrößen herrschen. Diese sind Usability der verwendeten Software und der wahrgenommene Nutzen auf Seiten des Kandidaten. Der erstere Faktor ist eine klare Aufforderung an die Software-Hersteller von Videointerviews. Die Videointerviewplattform muss für den Kandidaten einfach und intuitiv zu handhaben sein. Der zweite Faktor jedoch liegt vor allem in der HR-Kommunikation des Unternehmens gegenüber dem Kandidaten. Wird den Kandidaten klar und transparent kommuniziert, welchen Nutzen der eingesetzte Prozess und die damit verbundenen einzelnen Auswahlschritte und -tools für die Kandidaten mitbringen? Das ist ein absolutes Muss für die Kommunikation! Dem Kandidaten sollte gerade bei technologisch vermittelten Auswahlverfahren nicht nur transparent kommuniziert werden, wie der Prozess aussieht, sondern vor allem auch, inwiefern der Kandidat von diesem Prozess profitiert (zum Beispiel gegenüber dem klassischen “offline” Prozess). Beispiel-Nutzenargumente liegen in der zeitlichen und örtlichen Flexibilität für den Kandidaten, in der absolut fairen und vergleichbaren Struktur des Videointerviews oder der Möglichkeit, sich über den Lebenslauf hinaus beim Unternehmen zu positionieren.

5 Tipps für die Einführung eines professionellen Videointerviews oder: Warum Skype eben doch nicht alles ist
Skype ist zwar sehr bekannt für viele Kandidaten – als privates Kommunikationsmedium. Für Bewerber ist das professionelle Auftreten des Unternehmens im Videointerview jedoch ebenfalls ein Faktor, der stark auf die Employer Brand auszahlt. Das bedeutet auch die Hinzunahme von gebrandeten Lösungen, genügend Hilfestellungen für den Bewerber und natürlich die Möglichkeit, sich als Unternehmen dem Bewerber gegenüber zu positionieren (z.B. durch die Einbindung von Begrüßungsvideos des Ansprechpartners, Realistic Job Previews oder anderem). Für den Einsatz von Videointerviews sollten zusammenfassend folgende 5 Tipps bedacht werden:

  1. Werden Sie sich klar über die Zielsetzung des Videointerviews (Positiv- vs. Negativselektion) und wählen Sie dementsprechend live oder zeitversetzte Videointerviews
  2. Beherzigen Sie im Videointerview ebenfalls die Grundprinzipien diagnostisch wertvoller Interviews: Struktur, Anforderungsbezug der Fragen, Mehr-Augen-Prinzip, anforderungsbezogene Bewertung
  3. Stellen Sie sicher, dass das Videointerview ein Instrument der Vorauswahl bleibt: 4-5 Fragen mit dem Fokus auf die wichtigsten Kriterien der Stellenausschreibung (kein vollständiges Kompetenzprofil)
  4. Kommunizieren Sie den Einsatz des Videointerviews transparent, wertschöpfend und mit Blick auf den Nutzen für Ihre Kandidaten
  5. Nutzen Sie professionelle Lösungen, die sich konsistent an ihren Unternehmensauftritt anpassen

 

Über Hanna Weyer
ist verantwortlich für Business & Client Development bei viasto, dem Anbieter für zeitversetzten und strukturierten Videointerviews für die Personalauswahl. Hanna Weyer hat einen Master in Psychologie und berät die viasto-Kunden zur optimalen Verwendung zeitversetzter Videointerviews. Sie hat umfassende Erfahrung im Bereich der Personaldiagnostik und schreibt regelmäßig Fachbeiträge im viasto VI-Blog.

 

Literatur:

Brenner, F. (in Druck). Bridging the Scientist-Practitioner Gap: Einflussfaktoren auf die Bewerberakzeptanz bei neuen Technologien am Beispiel zeitversetzter Videointerviews. In Verhoeven, T. (Hrsg.), Candidate Experience: Ansätze für eine positiv erlebte Arbeitgebermarke im Bewerbungsprozess und darüber hinaus. Wiesbaden: SpringerGabler.

Levashina, J., Hartwell, C., Morgeson, F. P., & Campion (2014). The structured employment interview: Narrative and quantitative review of the research literature. Personnel Psychology, 67, 241-293.

Ziegler M., Hillebrand L., & Kroll, E. (2013). Untersuchung der Fairness zeitversetzter Videointerviews bei der Personal-Vorauswahl in Bezug auf Geschlecht und Migrationshintergrund.

 

 

Ein Gedanke zu „Die Evolution der Videointerviews oder es geht besser als Skype!

  1. Patrick

    Ein Videointerview finde ich wirklich zeitgemäß. Es kann neben Kosten auch Mühe sparen. Und man geht mit der Zeit! Tolle Idee.

Kommentare sind geschlossen.