Recruiter- vs. Candidate Experience: Konflikte an der Bewerberfront oder jetzt hilft nur noch Gandhi – ein Zwischenruf

Recruiterboxer-shakehands-sm und Bewerber sind wichtigste Akteure in der Personalrekrutierung. Die beiden Personengruppen sind eigentlich aufeinander angewiesen. Doch statt das Auskommen miteinander zu verbessern, dominieren Vorwürfe und gegenseitige Enttäuschungen. Diesen Eindruck kann man jedenfalls bekommen, wenn man die hochinteressante Diskussion verfolgt, welche augenblicklich auf mehreren HR-Blogs läuft. Hierzu mein Zwischenruf für mehr konstruktiven Umgang miteinander.

 

Erst mal der Reihe nach: Ausgangspunkt dieser Diskussion war eine Wortmeldung einer ´anonymen Recruiterin´ im Blog meines lieben Bloggerkollegen Henrik Zaborowski. Er erhielt eine Nachricht einer Recruiterin, welche ihn bat ihren Artikel anonym in seinem Blog zu veröffentlichen. Allerdings nicht irgendeinen Artikel! Nein, die anonyme Recruiterin machte sich deutlich Luft über schlechte Manieren von ´Bewerbern 2.0´. Henrik verbloggte das Ganze unter dem provozierenden Titel „HR schlägt zurück oder wie Bewerber 2.0 die Recruiter in den Wahnsinn treiben“. Also, der Titel ist schon mal deutlich. Inhaltlich geht´s dann auch entsprechend zur Sache:

Was ist passiert?
In dem Artikel schildert die anonyme Recruiterin ihre Eindrücke, quasi ihre Recruiter Experience mit vielen Bewerbern. Sie macht ihrem offenbaren Frust dort Luft. Ihre Kernvorwürfe an die Bewerber lauten dabei:

  • Termine werden nicht eingehalten
  • Terminabsprachen sind schwierig (nichts passt so recht)
  • Das Interesse an der Stelle scheint nur vorgetäuscht
  • (Arbeits-)Verträge würden nicht gehalten
  • Begründungen der Bewerber bzgl. Jobabsagen wären wenig glaubwürdig oder die Bewerber melden sich nicht zurück

Mhm, diese Phänomene kennt man sicherlich. Jedoch wohl auf BEIDEN Seiten, dachten sich dann zahlreiche Kommentatoren und auch andere Blogger (eine schöne Gegenrede hat bspw. Jochen Mai in der Karrierebibel verfasst und hier noch ein Artikel von Helge Weinberg). Wie steht es denn um die Candidate Experience in so vielen Fällen? Sei es im Online-Bewerberungsverfahren oder im Rahmen von Vorstellungsgesprächen? Natürlich: Auch oft nicht so toll. Negativbeispiele gibt es leider viel zu viele…

Die anonyme Recruiterin hat offenbar den Fehler gemacht in ihrer Darstellung gewissermaßen die eigene Fehlbarkeit nicht auch anzusprechen. So entstand mMn der Eindruck, dass hier jemand vor allem meckert. Ich persönlich bin sicher, dass sich die Dame den meisten der zahlreichen Unzulänglichkeiten in vielen Recruitingabteilungen bewusst ist, es aber einfach ausgelassen hat zusätzlich auch darüber zu schreiben. Sie wollte ihre Probleme mitteilen und einfach einmal nur darauf fokussieren. Das kann man natürlich kritisieren und genau das passierte auch ordentlich in den Kommentaren bei Henrik im Blog. Auch ich finde natürlich, dass es wichtig ist auf beide Seiten der Medaille hinzuweisen. Wo sich Unternehmen nicht vorbildlich verhalten, also warum sollte man das von jedem Bewerber erwarten können usw…

Kontroverse ist schön, allerdings wenn man die große Mehrzahl der Artikel über Recruiter / HR verfolgt, dreht der Wind doch eher in Richtung Vorwürfe an die Personalergemeinde. Die antwortet nun entsprechend, vertreten durch die anonyme Recruiterin und einige wenige Kommentare, welche ihr beipflichten.

Das Grundproblem, welches die Debatte an die Oberfläche bringt
Was diese Debatte aber meinem Eindruck nach eigentlich zeigt ist folgendes: HR-Blogger und teilweise auch HR-Fachmedien prangern nun schon länger immer wieder die in der Tat vorhandenen Probleme an von Unternehmen im Bereich Recruiting an. Das ist grundsätzlich gut und richtig. Ich unterstütze dies und mache selbst hin und wieder auf bestimmte Missstände aufmerksam, wie gerade beim Thema Candidate Experience. Allerdings hat diese berechtigte Kritik eine Entwicklung unterstützt, welche ich für sehr bedenklich halte: Die Personaler als Gruppe werden mit den Problemen und Ungereimtheiten von Unternehmen bei Arbeitgeberauftritten, der Personalgewinnung und –auswahl usw. zunehmend als quasi Hauptschuldige identifiziert und auch so behandelt. Dann kommen noch quasi anklagende Studienaussagen dazu wie „Personaler können es nicht“ und fertig ist das Bild der verstaubten, rückständigen, nicht-kundenorientierten Personaler!

Und was passiert, wenn man jemand immer wieder Vorwürfe macht? Genau, die andere Seite antwortet irgendwann auch mit Vorwürfen, siehe den Beitrag der anonymen Recruiterin. Wir sind nicht schuld, die Bewerber sind es doch und dann wieder anders herum… ach lassen wir das doch bitte…

Bei aller Berechtigung zur Kritik an HR, finde ich trotzdem, dass dieser Spin, der häufig aus HR-Blog / Medien kommt, gerade jenen Personalern Unrecht tut, die versuchen besser zu werden und sich mit bekannten Problemen aktiv auseinandersetzen. Diese HR-Bashing-Attitüde, welche, wenn auch sicher oft nicht so gemeint, doch in so manchen Artikeln spürbar mitschwingt, ist letztlich kontraproduktiv. Unter Druck und Vorwürfen ausgesetzt neigen Menschen nämlich in der Regel nicht dazu innovativ und mutig zu sein. Da kann noch so viel „Frechmut“ von Personalern verlangt werden. Die Mehrheit wird sich dann leider eher defensiv verhalten und das ist nach meiner Wahrnehmung eben genau das was viele HR-Kritiker eben nicht wollen…

Der konstruktive Weg
Mit dem HR BarCamp sind wir vor einigen Jahren unter anderem deswegen an den Start gegangen, da mein Mitstreiter Jannis und ich der Meinung waren einen lebenden Gegenbeweis anbringen zu wollen, dafür dass Personaler nicht nur Verwalter, sondern auch Gestalter sein wollen und durchaus etwas mit innovativen Ideen anzufangen wissen. Die erfolgreiche Geschichte des HR BarCamps dürfte bekannt sein. Es geht also. Statt Personalern Vorwürfe zu machen, sind Lösungen und Angebote hilfreich. Dazu sollte ein gewisses Maß an Verständnis kommen, denn HR agiert nirgends allein. Wo Abhängigkeiten und Zusammenhänge mit IT, Marketing, Unternehmenskommunikation, Fachabteilungen und Unternehmensspitze bestehen wird die Welt oft ein wenig komplizierter, als es der pure Blick von außen vermuten lässt.

Ich möchte hier nicht die HR global in Schutz nehmen. Auch nach meiner Einschätzung gibt es häufig vieles, was verändert und optimiert werden sollte, gerade auch im Bereich HR. Doch letztlich ist HR eben nur ein Teil eines jeden Unternehmens. An erster Stelle sehe ich die Unternehmensleitungen in der Pflicht. Das HR dorthin oft nicht genügend angekoppelt ist, dass kann man den HR-Führungskräften zwar definitiv ins Stammbuch schreiben, doch es bleiben letztlich Gesamtunternehmen, welche sich z.B. illoyal oder arrogant gegenüber Bewerbern verhalten.

ghandi art2Was ich mir an dieser Stelle wünsche ist, dass vielleicht alle Beteiligten aus dem Beitrag der anonymen Recruiterin und den vielen Reaktionen in den Kommentaren aufhören sich weiter in die Vorwurfsschleife zu begeben und stattdessen die Energie konstruktiv nutzen. Für Recruiter bzw. Personaler kann das heißen, dass sie ihr Mindset überprüfen sollten und sehen, wo sie in ihrem unmittelbaren Umfeld besser werden können. Für HR-Leitungen zusätzlich, dass sie mehr Einfluss auf ihre jeweiligen Unternehmensleitungen nehmen um Veränderungen durchzubringen und für HR-Blogger/ Journalisten/ Berater, dass weniger „Anklagen“ und mehr konstruktive Hilfestellungen aus den entsprechenden Texten heraus gelesen werden können, denn wir (ich bin ja auch Teil dieser Gruppe) müssen die besten Brückenbauer sein!
Schlussendlich ist vermutlich der Rat von Mahatma Gandhi die treffendste Devise: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt.“
– und nun lass ich es auch gut sein, schönen Tag noch.

 

 

Bilder
Gandhi CC BY 2.0 Luiz Fernando Reis
Boxer CC BY 2.0 fiverlocker

 

7 Gedanken zu „Recruiter- vs. Candidate Experience: Konflikte an der Bewerberfront oder jetzt hilft nur noch Gandhi – ein Zwischenruf

  1. Henrik Zaborowski

    Exzellent, Christoph! Herzlichen Dank! Ich werde Deine Sicht der Dinge und auch anderes demnächst aufgreifen. Du hast absolut Recht: Da muss wieder etwas „Ruhe“ rein. Ich arbeite dran.
    Herzlichen Gruß, Henrik

  2. Christoph Athanas

    Lieber Henrik,
    da bin ich sicher, dass Du das in eine gute Richtung argumentiert kriegst. Für den Lauf einer Debatte ist ja auch nie ein einzelner verantwortlich und ich sehe und beschreibe hier ja eher den Dreh auf dem Big-Picture-Level. D.h. für mich ist bei aller berechtigten Kritik an der HR und ihren Vertretern eben auch ein immer die Frage relevant wie wirkt sich das aus. Letztlich wollen ja gerade wir innovationsfreudigen HR-Blogger/ Berater aufgeschlossene HR-Vertreter(innen) und Dinge voranbringen…
    Ok, alles gesagt ich freu mich sehr auf Deinen nächsten „Wurf“. Beste Grüße!

  3. TAK

    Hallo Leute, die Diskussion um die Rollen von HR und von Bewerbern ist müßig. Solange HR (und die von ihr beauftragte Suchmannschaften) und die Bewerber sich gegenseitig als „Gegner“ betrachten, kann die Suche und Anwerbung „auf Augenhöhe“ nicht gelingen.
    Und dann kommt es zwangsläufig zu gegenseitigen Rumtricksereien , Enttäuschungen, Vorwürfen und hohen Fluktuationskosten. Schade, den dieses Geld könnte für die Einarbeitungskosten und eine faire Bezahlung betriebswirtschaftlicher eingesetzt werden.

  4. Hans Steup

    Ich glaube nicht, dass ‚Ruhe‘ einkehren sollte. Die ‚Meckerei‘ ist ja nicht grundlos.
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    Auch auf dem HR-Barcamp #HRBC14 ging es teilweise ja um alte Kamellen.
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    Mich wundert, dass zwar viele ‚meckern‘, aber scheinbar nur wenige einfach mal ‚machen‘. Was spricht dagegen, kleine Dinge im Recruiting oder in der HR einfach mal auszuprobieren?
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    Wir reden über Budgets für Social-Media-Recruiting oder mobil-fähige Karriereseiten.
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    Wie wäre es, wenn Recruiter einfach in der täglichen Arbeit in ihrem Bereich mit Ihren Kandidaten Dinge anders machen?
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    Ich muss doch nicht wegen jedem Sch**ß meinen Chef fragen oder eine Vorstandsvorlage einreichen. Alle sagen „… ja , man müsste…“ Macht doch mal! (Lieber einmal um Entschuldigung bitten, als hundertmal um Erlaubnis.)
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    Einen Kandidaten einfach mal anzurufen oder ihm seine Bewerbungsmappe zurück zu schicken oder ihm von sich aus die Reisekosten zu erstatten, sind Kleinigkeiten, die die ‚Candidate Experience‘ enorm verbessern.
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    Und wo wir gerade dabei sind: F*ck Fachbegriffe und Anglizismen. Kein Wunder, dass Euch niemand versteht.
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    – Hans Steup, Berlin

  5. Christoph Athanas

    @Henrik
    Klasse, dass Du das Thema und die daraus entstandene Debatte noch einmal aufgegriffen hast. Finde ich sehr wertvoll!

    @Hans
    Ja, ich vermute auch, dass diese Recruiter-Bewerber-Debatte weitergehen wird. Grundsätzlich finde ich das auch ok, aber ich bin der Meinung man sollte sich auf Konstruktives konzentrieren und aus der Vorwurfsschleife aussteigen. Wir werden sehen inwiefern das gelingen wird…

    Wie ich auch im Beitrag hier selbst schon geschrieben habe, bin ich bei Dir, dass jeder (Recruiter) in seinem unmittelbaren Umfeld zusehen soll, wo er/sie kleine Verbesserungen vornehmen kann. Das ist der Einflussbereich eines jeden selbst.
    Wo ich Dir widersprechen möchte ist, dass es gerade in größeren Unternehmen schon oft viele (manchmal auch fragwürdige) Prozesse gibt. Wenn man die als einfacher Mitarbeiter aus dem Recruiting nicht einhalten möchte, dann muss ich eben doch meinen Chef fragen. Auch das schrieb ich ja in dem Artikel oben: Die Welt der Corporate Personaler ist eben intern häufig ein wenig komplizierter, als es von außen den Eindruck macht. Hierfür sollten auch wir Externen (Berater) ein gewisses Verständnis haben…

    Und: Übrigens unnötige Anglizismen finde ich auch vermeidenswert. Aber wenn hier in diesem Fachblog ein FACHbegriff wie ´Candidate Experience´ auftaucht, dann ist das völlig in Ordnung, denn dieses Blog hier wendet sich an eine Fachleserschaft. Bei der Kommunikation gegenüber Bewerbern wäre das anders.

    Danke für Eure Kommentare und beste Grüße, Christoph

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