Ich habe gestern ein Interview auf Spiegel Online gelesen, welches mich aufhorchen ließ. Der Sachbuchautor Roland Springer vertritt dort die These, dass via Disziplin und Kontrolle eine strenge Mitarbeiterführung zum Erfolg führt und exakte Prozesstreue das Unternehmen im Wettbewerb bestehen lässt. Der Mitarbeiter soll also vordringlich an die Einhaltung von Standards gebunden und erinnert werden. Eine Art Führung des erhobenen Zeigefingers, oder wie ich finde Management aus der Mottenkiste…
Die Thesen des Herr Springer werden in dem Interview dem Vergleich zur Arbeit der deutschen Fussballnationalmannschaft unter Jogi Löw unterzogen. Springer tut dort so, als ob die Löw-Truppe Prozessoptimierer wären und von gelernten Standards lebten. Hier zeigt sich, dass Herr Springer keine Ahnung von Fussball hat, aber einen undankbaren Fussballvergleich heranzieht, vermutlich weil das gerade populär ist. So etwas mag ich als Fussballfan gar nicht. Daher mal eine punktuelle Klarstellung: Die deutsche Nationalmannschaft hatte bei der WM jede Menge drauf, worauf man in Business Kontexten anspielen könnte – Teamwork, Einsatzbereitschaft, Motivation und Zielsetzung – aber nicht gerade Standards. Zudem ist Fussball eben kein Prozess (linear), sondern ein System (komplex, parallel und nicht linear) und daher in diesem Sinne überhaupt keine passende Analogie.
Ok, zurück zum Großen-Ganzen: Viel schlimmer als den m.E. misslungenen Fussballvergleich, finde ich jedoch das Führungsverständnis des Herrn Springer, welches in dem SPON Interview zum Ausdruck kommt. Hier mal ein Auszug:
„Frage SPON: Und wie bringt man es den Mitarbeitern bei, die Standards einzuhalten?
Springer: Indem man Grundsätze formuliert und beispielsweise systematisch auf Ordnung und Sauberkeit hinweist. Und indem man immer wieder deutlich macht, dass die Einhaltung dieser Standards der Geschäftsführung sehr wichtig ist. Leider ist es vielen Führungskräften unangenehm, hinter ihren Mitarbeitern her zu sein. Das lernen die in ihrer Ausbildung auch nicht…“
Das von Springer vorgeschlagene Führungsverhalten entspricht wohl der Perspektive des Prozessoptimierers, als welcher er sich als Autor seines Buches zum Lean Management (Titel: „Survival of the Fittest„) offenbart. Das Buch scheint wie die Interview-Thesen thematisch aus dem Gestern zu stammen. Nicht zwingend schlecht, aber eben nicht mehr zeitgemäß: Alte Rezepte, die offenbar nicht bemerken oder bemerken wollen,
dass Menschen Motivation nicht verordnet werden kann,
dass Kreativität und konzeptionelle Arbeiten mehr Raum brauchen, als es reine Prozesstreue oft zulässt,
dass, Führungskräfte nicht die Aufpasser und Saalordner ihrer Mitarbeiter sein sollen,
dass, fortschrittliche Führungskräfte eher über Werte führen,
dass, Kontrolle eher als wertschätzende Unterstützung zur Verbesserung funktioniert, denn als Überwachung von Demarkationslinien,
dass, wertschätzende, partnerschaftliche Führungskultur ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Talentbindung im Unternehmen ist…
dass, es ohnehin keine generelle Ausbildung zur Führungskraft gibt…
Nun gut. Es bleibt festzuhalten, dass es nichts einzuwenden gibt dagegen, mit den Mitarbeitern gemeinsame Standards zu definieren. Es bleibt ferner festzustellen, dass die Einhaltung von Spielregeln abzusichern ist (wohl idealerweise über die Werte in in einem Unternehmen gelebt werden oder die der Teammitglieder, als nur über die Person der Führungskraft). Die Fokussierung Springers im Interview auf die Prozesstreue einerseits als Heilmittel und die strenge überwachende bzw. mahnende Führungsfigur andererseits finde ich allerdings mindestens unglücklich.
Mich verwundert es insofern jedenfalls nicht, dass die Reaktionen und Kommentare im SPON-Forum zu dem Springer-Interview weit überwiegend negativ sind. Das lässt hoffen, dass solches Management aus der Mottenkiste auch dort bleibt.
Ich wünsche Herrn Springer trotzdem viel Erfolg mit seinem Buch, auch wenn ich es nicht kaufen werde. Aber möge sich doch bitte jeder selbst seine Meinung dazu machen…
CA