Prof.Zimbardo und die Psychologie der Zeit und was das für Lernen und Führen von Digital Natives bedeuten kann

Zeitverständnis und Führung? Zeit, Lernen und Digital Natives? Was gibt es da für Bezüge??
In der Tat ist das Zeitverständnis von Menschen und dessen Auswirkungen auf bspw. Lernen nicht unbedingt der erste Aspekt, der einem einfallen mag, wenn man oben genannte Stichwort zugeworfen bekommt. Vielleicht ist es gerade deshalb so spannend einen Blick in die Psychologie der Zeit zu werfen, wie dies Prof. Philip Zimbardo tut.

Es gibt bei jedem Menschen ein implizites Verständnis von Zeit. Dieses kann sich eher auf die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft beziehen. Es ist laut Zimbardos Untersuchungen abhängig von Kulturkreis, von der Sozialisation und u.U. auch von der Zugehörigkeit zu einer spezifischen Generation. Besser als in diesem wirklich eindrucksvollen Videoclip mit den fantastischen, illustrierenden Zeichnungen kann ich die Gedanken von Zimbardo nicht darstellen. Daher sehen Sie hier das Video aus dem RSAblog. Das Video ist in Englisch. Meine Anmerkungen folgen dann weiter unten:

Vielfältige interessante Betrachtungen werden dank dieser – wie ich finde – spannenden Zeitpsychologie möglich. Ich möchte mich auf genau zwei konzentrieren, nämlich auf (A) das Führen und (B) das Lernen.

(A) Führen
Laut Zimbardos aufschlussreichen Ausführungen sind bspw. kulturelle Unterscheidungen zu machen was bereits in Konzepten zur interkulturellen Sensibilisierung und im Rahmen von Diversity angekommen ist. Hier sei bspw. das unterschiedliche Verständnis von Zeit und der damit einhergehenden Neigung zur parallelen Aufgabenbearbeitung in verschiedenen Kulturen hingewiesen. Während in Deutschland Zeit eher aufgabenorientiert verstanden wird, ist in mediterranen Kulturen (bspw. Frankreich oder Griechenland) die Tendenz zu einem eher an der betreffenden Person orientierte Zeitwahrnehmung gängiger. Salopp formuliert, eine „wichtigere“ Person bekommt in diesen Zeitkulturverständnis mehr Zeit, auch wenn die Aufgabe die ggf. dahinter steht eigentlich in kürzerer Zeit erledigt sein könnte. So gehen auch zwischen Personen dieser Kulturen ggf. die Auffassungen über exakte Abgabetermine oder Pünktlichkeit auseinander. Ein Grieche bspw. verabredet sich um 16 Uhr. Wenn dies mit einem Deutschen geschieht, nimmt der Deutsche an, dass damit exakt 16:00 Uhr gemeint ist. Der Grieche ist aber auch mit 16:10 oder 16:15 zufrieden und sieht die Verabredung als ausreichend eingehalten an. Für viele Deutsche wäre dies bereits die Schmerzgrenze des berühmten „akademischen Viertels“. Obwohl natürlich auch Griechen oder Franzosen im Businesskontext zu genauerer Termineinhaltung neigen als ggf. im Privatbereich, können solche Fragen rund ums Zeitverständnis zu einer Belastung in der Arbeit von internationalen Teams werden. Hier ist die verantwortliche Führungskraft gefordert rechtzeitig ein gemeinsames Verständnis zu schaffen. Ebenfalls sind Zeit-bezogene Themen für Führungskräfte u.U. der Umgang mit Veränderungen (der Fokus von Mitarbeitern auf Gestern, Heute oder Morgen) und das Thema Motivation. Ein Mitarbeiter mit sehr hohem Morgen-Fokus wird deutlich leichter für eine Vision zu begeistern sein, inbesondere natürlich wenn er oder sie daran mitwirken kann, als eine Person mit Gestern- oder Heute-Fokus. Die hohe Motivation des Gestern-Fokussierten wird stark abbrechen, wenn die kommenden Aufgaben ohne Bezug zum Bewährten und zur Tradition des Unternehmens dargestellt werden. Eine entsprechende Ansprache um Aufgaben oder Verantwortungen für diese Mitarbeiter individuell motivierend richtig zu delegieren sollte also den Zeitfokus einbinden. So lassen sich für Führungskräfte bessere Ergebnisse in der Motivation ihrer Mitarbeiter erzielen.

(B) Lernen (und die Generation Digital Natives)
Die Theorie der Generation „Digital Natives“ geht davon aus, dass diese Personen mit den neuen Technologien wie insbesondere Internet und Smartphones aufgewachsen und entsprechend mit diesen und durch diese sozialisiert worden sind. Daraus so die Folgerung ergibt sich gegenüber früher geborenen Generationen eine höhere Kompetenz im Umgang mit diesen Medien aber auch eine andere Erwartungshaltung an die Kommunikation, Interaktivität und Transparenz von bspw. Unternehmen. Diese Thesen sind umstritten. Wo sicherlich ein wahrer Kern drin steckt, ist die Veränderung im Lernverhalten und in der Art, wie zum Beispiel Lernmedien konsumiert werden. Darauf referenziert Zimbardo, wenn er gegen Ende des Videos davon spricht, dass neue Denk- und Bewertungsmuster angenommen werden, je nachdem wie (Lern-)Informationen bevorzugt konsumiert werden. Ein Klassenraum oder auch ein klassischer Schulungsraum mit den üblichen Medien wie Flipchart und Whiteboard sind eben keine interaktiven 3D Welten. Die dortige Informationsaufbereitung und die nur bedingte Interaktivität und Steuerbarkeit führen bei stark durch neue Medien geprägte Menschen eher zum Urteil „naja, langweilig“. Ich vermute Zimbardo überzeichnet hier mit Absicht und weiß natürlich, dass nicht alle nach 1980 geborenen automatisch als „Digital Natives“ solche Verhaltensmuster an den Tag legen. Dennoch zeigt er auf, dass verändernde Informationsbedürfnisse sich im Zeitkontext darstellen und auch auf Lernprozesse eine Auswirkung haben. Dies gilt für das Lernen in der Schule, aber auch für das Lernen im Job oder für die Qualifizierung von jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Zeit wird immer mehr doppelt oder mehrfach belegt und genutzt. Multifunktionalität und parallele Einflussnahmemöglichkeiten werden zunehmend attraktiver als analoge, one-way-Kommunikationen (das Bsp. von Zimbardo: Einfache Armbanduhren werden als analoges „single function device“ wahrgenommen und gelten bestimmten Personen als tendenziell nicht mehr so interessant. Klar, das iPhone hat ja auch ein „What´s the time“-App).
Was bedeutet das für das Thema Lernen? Das zunehmend parallele Zeitverständnis mit Fokus auf die Jetzt-Zeit begründet bestimmte Lernförderer, so kann eine These daraus lauten. Diese Zeitperspektive trifft eher bei Angehörigen der sog. Digital Natives zu, aber natürlich nicht ausschließlich. Welche Umstände können demnach als Lernförderer beschrieben werden. Hier meine Aufstellung der Faktoren, welche für ein Lernangebot an die beschriebene Zielgruppe als hilfreich angesehen werden können:

  • Kürzere Lerneinheiten, mehr Abwechslung
  • hoher Visualisierungsgrad
  • Interaktivität
  • Gestaltungsspielraum für die Lernenden (Themenauswahl, Dauer, Umfang, ggf. auch darüber hinaus)
  • Parallele Umgebungen (bspw. können im e-learning verschiedene Einheiten gleichzeitig und nicht nur sequeziell nacheinander angeboten werden)
  • Vernetzung mit anderen Lernenden
  • Einflussnahme im Jetzt ergänzt den Punkt Gestaltungsspielraum (welcher eher Zukunft-fokussiert ist)
  • Authentische Inhalte
  • Funfaktor, aber mit klarem Praxisbezug
  • ggf. unterschiedliche Medien bzw. auch mobil ansteuer- oder abrufbar

Eine Reihe dieser Aspekte sind bereits Teil von blended learning oder e-learning Konzeptionen. Insofern koppeln die eben genannten Überlegungen teilweise auch schon an veränderte Zeitwahrnehmungen an, ob beabsichtigt oder nicht. Damit möchte ich diesen ersten Enwurf nach Betrachten und Nachdenken über die Zeitperspektiven als Konsequenz aus dem Zimbardo Vortrag schließen. Es gibt sicher noch viel mehr daraus abzuteilen oder zu vermuten… naja, wofür gibt´s hier im Blog die Kommentarfunktion :-)
CA

Wer mehr wissen möchte über Prof. Zimbardo, der übrigens auch ein hervorragendes Einführungsbuch ins Fach Psychologie geschrieben hat, möge bitte hier klicken:
Webseite von Zimbardo

Portrait über Z. in Psychologie heute

Link zum Buch: Die neue Psychologie der Zeit: und wie sie Ihr Leben verändern wird

zimbardo-boyd-buch