Recruiting ist kein Zuckerschlecken. Besonders dann nicht, wenn es sich bei den gesuchten Profilen um IT-Spezialisten und Ingenieure handelt. Das Verhältnis von offenen Stellen und MINT-Talenten ist unausgeglichen. Fachkräfte aus diesen Bereichen haben i.d.R. die Wahl zwischen mehreren potentiellen Arbeitgebern. Um aus der Masse herauszustechen, müssen Arbeitgeber die Zielgruppe zunächst einmal verstehen. Dazu gehört es die Arbeitgeberangebote sowie die Ansprache gezielt entlang der Bedürfnissen der Empfänger auszurichten. Die get in GmbH bringt auf Ihren Plattformen Arbeitgeber mit Absolventen und Young Professionals aus eben jenem MINT-Bereich zusammen. In den jährlich erscheinenden Studien von get in werden jeweils rd. 1.000 Nachwuchskräfte aus den Bereichen IT und Engineering zu ihren Wünschen, Erwartungen und Anforderungen befragt. Mein Kollege, Nils Meyer, Recruiting Berater bei meta HR, hat sich dazu mit get in Co-Founder Rainer Weckbach unterhalten. Die interessanten Einblicke dieses Austausches finden sich hier im nachfolgenden Interview.
Die get in GmbH ist einer der führenden Anbieter für fachspezifische Talent Marketplaces im Bereich IT und Engineering. Über die Plattformen get-in-it.de und get-in-engineering.de haben Nachwuchskräfte die Möglichkeit sich umfassend beruflich zu orientieren. Talente haben dort die Chance sich einen Überblick über den Arbeitsmarkt zu verschaffen, Branchen und passende Berufsfelder kennen zu lernen. Darüber hinaus finden Talente wertvolle Informationen zu den Themen Bewerbung, Gehalt und Studium. Arbeitgeber haben die Möglichkeit Einblicke in bestimmte Berufe und Erfahrungsberichte von Mitarbeitern einzustellen. Ein Erfolgsrezept von get in ist mit Sicherheit das gute Verständnis der Zielgruppe. Seit 2015 befragt get in dafür regelmäßig rd. 1000 Nachwuchskräfte aus den Bereichen IT und Engineering und präsentiert die Ergebnisse in jeweils zwei separaten Studien. Anlässlich der neuen Studien für 2019/2020 habe ich mich von Rainer Weckbach über die Anforderungen dieser hart umkämpften Talente aufklären lassen. Viel Spaß beim Lesen!
Die Download-Links zu den Studien finden Sie am Ende des Interviews.
Das Interview:
Nils Meyer, meta HR: Hallo Rainer, erläutere zu Anfang am besten einmal was get in generell und besonders macht?
Rainer Weckbach, get in: Wir bringen auf unseren Plattformen www.get-in-IT.de und www.get-in-Engineering.de Arbeitgeber mit Absolventen und Young Professionals aus IT und Ingenieurwesen zusammen. Was uns einzigartig macht ist unsere Spezialisierung auf die Zielgruppe der Berufseinsteiger in diesen beiden Branchen. Dabei setzen wir auf Active Sourcing, das heißt die Unternehmen sprechen die Kandidaten an. Unternehmen finden bei uns zielgerichtet und effizient ihre IT- und Ingenieur-Nachwuchskräfte, die in diesem Moment auf Jobsuche sind und von Arbeitgebern angesprochen werden möchten.
Was uns ausmacht ist, dass wir das Orientierungs- und Informationsbedürfnis der MINT-Berufseinsteiger sehr gut verstehen und uns über die Jahre hier ein großes Vertrauen erarbeitet haben. Heute sind unsere Plattformen die ersten Anlaufstellen für Absolventen aus Informatik und Ingenieurwesen. Um diese spezielle Zielgruppe besser zu verstehen und zu erfahren, worauf die jungen IT- und Ingenieur-Talente bei der Candidate Journey Wert legen, was einen Arbeitgeber für sie attraktiv macht und wie sie von Recruitern angesprochen werden möchten, führen wir seit 2015 die Studie „Was MINT-Talente von ihrem Berufseinstieg erwarten“ durch. Mit jährlich 1.000 befragten Studierenden und Young Professionals ist dies die deutschlandweit größte Umfrage in dieser Zielgruppe.
Nils Meyer, meta HR: Was müssen Unternehmen tun, um in Zeiten des Fachkräftemangels MINT-Nachwuchskräfte zu finden und binden?
Rainer Weckbach, get in: Um das zu beantworten müssen wir uns zunächst fragen, was die MINT-Nachwuchstalente sich für ihre berufliche Laufbahn wünschen und ihre Perspektive einnehmen. Wenn die Unternehmen verstehen, was den Kandidaten wichtig ist und nach welchen Kriterien sie ihren Arbeitgeber auswählen, können sie ihr Employer Branding und ihre Kandidatenansprache entsprechend darauf ausrichten und so die MINT-Talente überzeugen. Unsere Studie zeigt zum Beispiel ganz klar, dass es unterschiedliche Erwartungshaltungen zwischen den Ingenieuren (untere Grafik) und den IT’lern sowie den Absolventen und den Young Professionals gibt. Die Absolventen achten stärker auf das Gehalt, während den Young Professionals tolle Kollegen und flexible Arbeitszeiten wichtiger sind.
Ebenso gibt es zwischen den beiden Berufsgruppen deutliche Unterscheidungen: Für die befragten IT’ler ist das Gehalt der wichtigste Faktor für einen attraktiven Arbeitgeber, während es den Ingenieuren vor allem um gute fachliche Entwicklungsmöglichkeiten im Job geht.
Ein überraschendes Ergebnis ist zum Beispiel auch, dass es die Young Professionals aus der IT kaum reizt, eine Führungskarriere einzuschlagen. Viel lieber möchten sie einem zukunftssicheren Job nachgehen (65 %) oder Experte auf ihrem Fachgebiet werden (57 %). Statt mit Karrierezielen zu locken sollten Recruiter also besser auf die Zukunftssicherheit des Jobs hinweisen.
Latent suchende Young Professionals aus dem Ingenieurwesen legen außerdem großen Wert darauf, dass das Unternehmen und seine Werte zu ihnen passen, also auf den sogenannten Cultural Fit zwischen Kandidat und Unternehmen. Wenn die Anfrage zusätzlich ihr persönliches Profil berücksichtigt, lassen sie sich durchaus von einem Jobwechsel überzeugen (Bild 3 Cultural Fit Engineering).
Wenn sich die Arbeitgeber also über ihre eigenen Unternehmenswerte im Klaren sind und die besonderen Präferenzen ihrer Wunschkandidaten kennen, können sie darauf bei ihrer Ansprache eingehen. So kommen sie viel leichter mit ihren Wunschkandidaten ins Gespräch und können mit ihrem Jobangebot überzeugen.
Nils Meyer, meta HR: Was bedeutet das für die Recruiter in den Unternehmen? Wie müssen diese Ihre Ansprache an die Zielgruppe anpassen?
Rainer Weckbach, get in: Laut unserer Befragung möchten über 60 % der MINT-Talente lieber vom Unternehmen direkt angesprochen werden, anstatt sich zu bewerben.
Dabei bevorzugen die IT’ler den Erstkontakt mit der IT-Fachabteilung (65 %) und die Ingenieure den Kontakt zur Personalabteilung (77,5 %). Headhunter als Erstkontakt sind bei den MINT-Talenten eher unbeliebt und erhalten nur 6 % der Stimmen. Das ist eine wichtige Erkenntnis und verdeutlicht einmal mehr den Paradigmenwechsel im Recruiting, vom Arbeitgeber- hin zu einem Bewerbermarkt. Zusammen mit dem demografischen Wandel führt dies zu rückläufigen Bewerbungseingängen, die für viele Personaler ein echtes Problem darstellen. Dagegen können die Unternehmen nur anwirken, indem sie potenzielle Kandidaten aktiv ansprechen und das Active Sourcing zum festen Bestandteil ihres Recruiting-Mix machen.
Damit Kandidaten und Unternehmen zusammenfinden, müssen die Unternehmen also ihre Komfortzone verlassen und den ersten Schritt machen. Die nächste Frage ist dann, wo die Unternehmen interessante Kandidaten finden und ansprechen können. Wichtig hierbei ist, dass es sich bei den Nachwuchstalenten um Digital Natives handelt. Diese Zielgruppe ist es gewohnt, in digitalen Netzwerken zu kommunizieren. Wohnungssuche, Partnersuche, Jobsuche – für jede Lebenssituation gibt es ein eigenes Netzwerk. Für berufsbezogene Themen kommen daher für die deutliche Mehrheit der Befragten nur generalistische Business Netzwerke und spezialisierte Recruiting-Netzwerke in Frage. Ausschließlich privat genutzte soziale Netzwerke landen mit weniger als 15 % der Stimmen auf dem letzten Platz in der Umfrage.
Bei den generalistischen Business Netzwerken, die unter anderem zur Kontaktpflege mit Kunden, Partnern und Kollegen genutzt werden, müssen Recruiter zunächst herausfinden, ob die Kandidaten sich akut auf Jobsuche befinden und überhaupt wechselbereit sind. Viel effizienter ist hingegen die Nutzung von Jobplattformen. Hier sind die Kandidaten mit der einzigen Zielsetzung angemeldet, einen Job zu finden und somit auch offen für Angebote. Meine Empfehlung an die Unternehmen ist also, das Recruiting ins Unternehmen zu holen und die Kandidaten in spezialisierten Netzwerken aktiv anzusprechen. Das ist nicht nur zeitsparender, sondern laut unserer Befragung auch der ausdrückliche Wunsch der Nachwuchstalente.
Nils Meyer, meta HR: Nun ist die Zielgruppe über die wir reden sehr stark umkämpft am Arbeitsmarkt. Haben alle Unternehmen die gleichen Chancen bei der Direktansprache? Wie steht es um die Chancen der KMUs?
Rainer Weckbach, get in: Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht: Die gute ist, dass KMUs aus Sicht unserer Studienteilnehmer einiges zu bieten haben. 60 % der Nachwuchs-Ingenieure und 50 % der IT-Talente würden für die familiäre Atmosphäre eines mittelständischen Unternehmens vom Konzern in den Mittelstand wechseln.
Die schlechte Nachricht ist, dass die MINT-Talente bei ihren Karriereoptionen in erster Linie an die großen Arbeitgebermarken denken und die vielen Möglichkeiten bei KMUs nicht kennen, wenn es nach dem Studium in die heiße Phase der Jobsuche geht. In Sachen Employer Branding müssen kleinere IT- und Ingenieur-Arbeitgeber also noch ihre Hausaufgaben machen, wenn sie ihre Chancen im War for Talents nutzen wollen. Und Chancen gibt es genug. Unsere Studie hat gezeigt, dass KMUs bei der MINT-Zielgruppe neben der besonderen Arbeitsatmosphäre mit einem abwechslungsreichen Tätigkeitsfeld und flachen Hierarchien punkten. Diese Vorteile können und sollten KMUs unbedingt für ihre Arbeitgebermarke nutzen. Wenn zusätzlich noch ein wettbewerbsfähiges Vergütungspaket und gute Entwicklungs- und Karrieremöglichkeiten angeboten werden, sind KMUs in der Lage, neue Talente zu werben und auch zu halten.
Viele Mittelständler machen sich Sorgen, dass ihr Standort nicht attraktiv genug ist für die junge Generation. Das hören wir oft von unseren Kunden. Unsere Studie zeigt jedoch, dass die Mehrheit der MINT-Talente (57 % der Ingenieure, 50 % der Informatiker) am liebsten in einem urbanen Gebiet, also einer Stadt mit weniger als 500.000 Einwohnern leben und arbeiten möchte. Mit jeweils unter 25 % der Stimmen liegen Land und Großstadt in der Befragung sogar fast gleich auf. Dass es alle Nachwuchskräfte in die Großstadt zieht ist also ein Irrglaube und KMUs mit Sitz außerhalb der Metropolen brauchen sich nicht zu scheuen, die Nachwuchstalente anzusprechen.
Nils Meyer, meta HR: Was sind die Top Learnings aus der Studie und wie, glaubst Du, wird die weitere Entwicklung in den nächsten Jahren aussehen?
Rainer Weckbach, get in: Die wichtigsten Learnings sind, dass die Digital Natives über spezifische Netzwerke aktiv von den Unternehmen angesprochen werden wollen. Dabei muss das Active Sourcing ins Unternehmen geholt werden – Headhunter sind definitiv out! Die klassische Stellenanzeige als Recruiting-Tool hat vor allem bei den gefragten MINT-Talenten ausgedient und Unternehmen, deren Recruiting nur auf dem „Post and Pray“ Prinzip basiert, werden im Kampf um die Talente keine guten Chancen haben. Wir befinden uns aktuell in einem Bewerbermarkt, in dem der Arbeitgeber den ersten Schritt machen und die geeigneten Kandidaten von seinem Unternehmen überzeugen muss – und nicht mehr umgekehrt. Diese Situation wird sich in Zukunft auch weiter verschärfen, weil die Generation der Babyboomer kurz vor der Rente steht und die geburtenschwachen Nachfolgegenerationen der Gen Y und Gen Z die Lücken in den Fachabteilungen der Unternehmen nicht schließen können. Das ist die erste große Herausforderung für das Recruiting.
Die zweite ist, dass diese Nachfolgegeneration ganz andere Werte verkörpert, die sie in die Arbeitswelt überträgt. Für die jungen Arbeitnehmer sind Statussymbole wie Firmenwagen oder Prestige nicht mehr so wichtig. Stattdessen erwarten sie eher eine gesunde Work-Life-Balance, ein gutes Arbeitsklima und ein betriebliches Gesundheitsmanagement. Darauf müssen sich die Arbeitgeber zunehmend einstellen und diese Werteverschiebung in der Unternehmenskultur und der Recruiting-Strategie berücksichtigen. Dieser Wandel, der gerade stattfindet, ist ein spannender Prozess, der aber noch nicht bei allen Unternehmen angekommen ist. Je früher die Arbeitgeber mit dem Umdenken starten, desto besser sind ihre Chancen, geeigneten MINT-Nachwuchs zu finden und für sich zu gewinnen.
Nils Meyer, meta HR: Rainer, hab vielen Dank für das Gespräch. Ich bin schon auf die kommenden Studien gespannt und die Entwicklungen, welche sich darin ablesen lassen.
Über meinen Gesprächspartner:
Rainer Weckbach ist Co-Founder der E-Recruiting Plattformen get in IT und get in Engineering. Vor der Gründung von get in war er als Unternehmer und Berater im Gesundheitswesen und im Bereich der erneuerbaren Energien tätig und begleitete die Übertragung der klassischen Geschäftsmodelle in den digitalen Bereich. Als studierter Wirtschaftspädagoge hat er sich schon in seiner Diplomarbeit mit der wissenschaftlichen Erforschung der Berufs- und Arbeitgeberwahlentscheidung beschäftigt. Inzwischen befragt er mit get in jedes Jahr MINT-Nachwuchskräfte zu ihren Erwartungen an den Berufseinstieg.
Hier können Sie die genannten Studien kostenlos als Vollversion herunterladen:
Studie (2019/2020) – Das erwarten IT-Fachkräfte von Ihrem Berufseinstieg
Studie (2019/2020) – Das erwarten Ingenieure von Ihrem Berufseinstieg