Wenn in Fachzeitschriften und HR-Blogs über Recruiting oder Mitarbeiterbindung gesprochen wird, kommen oft Beispiele von Unternehmen, die in den großen Städten des Landes sitzen. Jene Arbeitgeber in Berlin, München oder Frankfurt haben sicher ihre Herausforderungen. Allerdings gibt es in Großstadtregionen ohne Zweifel mehr potenzielle Fachkräfte und relativ bessere Standortbedingungen als in vielen ländlichen Regionen. Gerade deshalb spitzte ich die Ohren, als ich vor einigen Monaten von der Personalarbeit bei MAJA Möbel hörte. Die MAJA-MÖBELWERK GmbH betreibt im sächsischen Wittichenau (Landkreis Bautzen) und im fränkischen Kasendorf zwei Werke mit insgesamt knapp 1000 Mitarbeitern. Damit ist das Unternehmen ein gutes Beispiel für typisch mittelständische Strukturen abseits der großen Metropolen. Ich sprach dazu mit der Personalleiterin Antje Schneider.
Selbstredend wird auch bei MAJA Möbel fleißig rekrutiert, sich mit Arbeitgeberattraktivität beschäftigt und dafür gesorgt, dass sich Mitarbeiter weiterentwickeln und wohlfühlen können. Dies alles passiert vor sehr verschiedenen regionalen Hintergründen. Insbesondere in Wittichenau, welches im Einzugsgebiet der Lausitz liegt, befindet man sich in einer Regionen im Strukturwandel (Stichwort: Braunkohle).
Von der Personalarbeit bei MAJA Möbel erfuhr ich nicht aus der Presse. Viel besser: Ich hatte das Glück die Personalleiterin Antje Schneider im letzten November bei einer gemeinsamen Podiumsdiskussion im Rahmen eines Events zur Talentgewinnung bei der Lausitzer Rundschau kennen zu lernen. Es ergab sich ein interessantes Gespräch zwischen uns. Und ich fand immer mehr Gefallen an der Idee die HR-„Story“ des regionalen Mittelständlers MAJA Möbel zum Thema hier im Blog werden zu lassen. Dankenswerter Weise hat Antje dabei mitgespielt und mir meine neugierigen Fragen beantwortet.
Das Interview:
Christoph Athanas, meta HR: Hallo Antje. Es freut mich, dass Du mir und den Leser/innen des meta HR Blogs Rede und Antwort stehst. Bitte stelle Dich doch kurz vor und sag uns auch in Kürze welche Profile MAJA Möbel vor allem rekrutiert.
Antje Schneider, MAJA Möbel: Hallo Christoph, die Freude ist ganz auf meiner Seite. Wie gesagt mein Name ist Antje Schneider, ich bin 47 Jahre jung und seit 2015 als Personalleiterin für MAJA tätig. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch Talente besitzt, die wir für den Einzelnen, aber auch für die Gemeinschaft nutzbar machen sollten – das treibt mich an. MAJA-MÖBEL produziert im Herzen der Lausitz mit rund 700 Mitarbeiter*innen in einer hochmodernen Großserienfertigung Möbel für IKEA. So ist in fast jedem Haushalt ein Stück MAJA zu Hause. Wir bieten vielfältige Berufschancen vom Einsteiger bis zur Führungskraft, gewerblich-technisch wie kaufmännisch. Konkret suchen wir Facharbeiter*innen für das Führen von einem hoch individuellen Maschinen- und Anlagenpark. Aber auch für die Instandhaltung unserer komplexen Produktionstechnik und die Qualitätssicherung. Im Werk benötigen wir außerdem auch Staplerfahrer*innen für die Logistik, Sachbearbeiter*innen für die Produktionsdatenerfassung, die Personalabteilung oder die Materialdisposition sowie Meister und Ingenieure als Schicht- und Bereichsleiter oder für die Arbeitsvorbereitung und diverse Projekte zur stetigen Weiterentwicklung unseres Unternehmens. Ebenso bilden wir junge Talente in fünf Berufen aus, zum Teil in unserer eigenen Lehrwerkstatt. Und wir bieten einen dualen Studiengang an.
Christoph, meta HR: Welche Strategien verfolgt Ihr um die passenden Mitarbeiter zu gewinnen? Wie sind Eure Erfahrungen mit diesen Strategien: Was funktioniert für Euch, was weniger?
Antje: Wir setzen mittlerweile ausschließlich auf die Region, d.h. alle Recruitingkanäle haben einen regionalen Bezug. Das gilt für Jobbörsen genauso wie für Job- und Ausbildungsmessen, Printmedien und Personaldienstleister und bei Bedarf auch Headhunter. Alle unsere Partner kennen die Region und sind hier fest verwurzelt. Sie kennen damit die Menschen mit all ihren Besonderheiten. Für die Ausbildung setzen wir verstärkt auf Schulkooperationen und übernehmen teilweise sogar Unterrichtsstunden im Rahmen der Berufsorientierung oder im Fach Wirtschaft/Technik. Dazu kombinieren wir unseren „Tag der offenen Lehrwerkstatt“ und nehmen an Aktionen wie „Schau rein – Woche der offenen Unternehmen in Sachsen“ oder dem „Girls-/Boysday“ teil. So sind wir nah an den Schülern und die Schüler nah an uns. Im Rahmen dieser Aktionen lernen sie sowohl die Berufsbilder wie auch unser Unternehmen kennen.
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Christoph, meta HR: Wie wichtig ist dieser persönliche Kontakt und das persönliche Erleben des Arbeitgebers durch die potenziellen Bewerber?
Antje: Türen öffnen ist auch im Bereich der Fachkräfte extrem wichtig. Wir bieten allen Bewerber*innen nach dem persönlichen Kennenlernen einen Blick ins Werk an. Beim sogenannten Schnuppern lernen die Bewerber*innen sowohl die Arbeit an sich als auch den Arbeitsplatz und die zukünftigen Kollegen kennen. Dabei entscheidet der Bewerber, wie viel Zeit er sich dafür nimmt. Mit Unterstützung externer Partner, wie z.B. die Arbeitsagentur kann das auch mal eine Woche dauern. Insgesamt verlangsamt dies zwar den Prozess, aber gerade vor dem Hintergrund der zunehmenden Jobwechsler erhöht dies für beide Seiten die Sicherheit, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Darüber hinaus öffnen wir regelmäßig die Werkstore sei es für die Familien und Freunde unserer Mitarbeiter oder zur Erlebnisnacht bei MAJA für Jedermann bzw. Jederfrau. So wird greifbar was hier wie und von wem hergestellt wird.
Christoph, meta HR: Die Arbeitsagentur ist ein de facto Deutschlands größte Jobbörse. Dennoch spielt dieser Kanal oft im Recruiting-Mix von Unternehmen nur noch eine untergeordnete Rolle. MAJA Möbel hat hier andere Erfahrungen gemacht. Wie gestaltet sich bei Euch die Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit und worauf sollten Arbeitgeber dabei achten?
Antje: Wir haben von Anfang an den persönlichen Kontakt zu Arbeitsagentur und Jobcenter gesucht und stehen nicht nur telefonisch mit den zuständigen Betriebsbetreuern in Kontakt. Wir treffen uns regelmäßig persönlich und tauschen uns über Ideen und die Möglichkeit der Zusammenarbeit aus. Wir verstehen uns als Partner auf Augenhöhe und fordern uns gegenseitig. So können auch ganz individuelle Projekte entstehen. Aktuell profitieren so im Rahmen der abschlussorientierten Teilqualifizierung Arbeitsuchende, Leiharbeiter und unsere Beschäftigten gleichermaßen. Auch bei der passgenauen Vermittlung von Auszubildenden oder schwerbehinderten Menschen zahlt sich der persönliche Kontakt aus.
Christoph, meta HR: Ein großes Thema im Personalbereich ist mittlerweile natürlich die Digitalisierung. Wo habt Ihr bereits digitalisiert (auch abseits von Recruiting) und welche Tools nutz Ihr? Welche Erfahrungen wurden gemacht bzw. was hat sich geändert?
Antje: mmmhhh … ein großes und herausforderndes Thema bei dem wir noch Nachholbedarf haben. Vor dem Hintergrund, dass es bei MAJA erst seit 2015 eine eigenständige Personalabteilung gibt, haben wir noch ein gutes Stück des Weges vor uns. Eines der wichtigsten Digitalisierungsprojekte war die Einführung der elektronischen Personalakte, die uns neben einer reinen Zeitersparnis aber auch jederzeit den Echtzeitzugriff ermöglicht. Darüber hinaus haben wir in die elektronische Bearbeitung von Abwesenheiten in Form eines Mitarbeiter-Self-Services und die automatische Einsatzplanung investiert. Alle weiteren Prozesse haben wir so aufgestellt, dass aus einer Papierlösung jederzeit eine digitale Lösung werden kann und befinden uns gerade auf der Suche nach einem System, welches unsere Insellösungen (Zeiterfassung, Lohnabrechnung, Produktionsdatenerfassung, Bewerbermanagement usw.) miteinander „sprechen und austauschen“ lässt, ohne einen echten Systemwechsel vornehmen zu müssen. Aber auch Themen wie E-Recruiting spielt eine Rolle.
Christoph, meta HR: Ihr seid ein produzierendes Unternehmen mit entsprechend vielen Jobprofilen in diesem Bereich. Wie schafft Ihr es für gewerbliche Mitarbeiter bzw. die Menschen in den Produktionsjobs attraktiv als Arbeitgeber zu sein bzw. zu bleiben?
Antje: Da sprichst Du ein sehr wichtiges und nie endendes Thema an. Nicht nur die Arbeitswelt verändert sich, auch die Menschen in Unternehmen verändern sich. Deshalb müssen wir gut zuhören, wenn wir mit unseren Mitarbeitern im Gespräch sind. Bei uns sind so eine Vielzahl von Schichtmodellen entstanden, die einerseits Müttern und Vätern die Rückkehr ins Berufsleben ermöglichen, aber auch Freizeit und Familienzeit für ein Jahr im Voraus planbar machen. Wir fördern die Gesundheit unserer Mitarbeiter durch zwei bezahlte Gesundheitstage pro Jahr, die jeweils unter einem speziellen Motto stehen. Auch beim Thema persönliche Schutzausrüstung stellen wir uns mit einem individuellen Schuhsystem auf die Gegebenheiten des Einzelnen ein. Wichtig für unsere Mitarbeiter*innen ist der Austausch, den wir mit Mitarbeiterfesten oder unserem Weihnachtsbüdchen fördern. Über die grundlegenden Sachen wir Geburtstags- und Weihnachtskarten, Jubiläumsgeschenke und kleine Aufmerksamkeiten zu Ostern und Weihnachten müsste ich hier gar nicht reden, wenn sie für die Mitarbeiter*innen nicht so wertvoll wären. Der eine oder andere Leser fragt sich jetzt bestimmt, warum ich nicht über das Thema Lohn spreche. Das ist ganz einfach – zum einen muss jedes Unternehmen hierbei seinen eignen Weg finden und zum anderen ist Geld eben nicht alles. Themen wie flache Hierarchien, schnelle und verbindliche Entscheidungen, persönliche Ansprechpartner, die Lösungen finden und nicht zuletzt eine pünktliche und verlässliche Lohnzahlung sind meiner Erfahrung nach oft viel wichtiger als der reine Lohn.
Christoph, meta HR: Zum Schluss bitte noch mit Blick aufs Große-Ganze: Was würdest Du auf Basis Deiner Erfahrungen mit MAJA Möbel anderen regional aufgestellten Arbeitgebern empfehlen. Was sollten die unbedingt zur Fachkräftesicherung tun und was lassen?
Antje: In erster Linie nah am Menschen und nahbar für die Menschen sein. In zweiter Linie das Potential vor der Haustür nutzen, denn eine der großen Herausforderungen in strukturschwachen Regionen ist der Wegzug. Diese Abwanderung müssen wir als Unternehmen verhindern und die Bedingungen für Rückkehrer so angenehm wie möglich machen. Und darüber die eigenen Mitarbeiter nicht vergessen und ihnen die gleiche Aufmerksamkeit widmen wie dem externen Bewerber.
Christoph, meta HR: Liebe Antje, vielen Dank für dieses Gespräch und die sehr interessanten Einblicke!
Über meine Gesprächspartnerin
Antje Schneider, Jg. 1972, ist Personalleiterin und Prokuristin der MAJA-MÖBELWERK GmbH in Wittichenau. Sie studierte BWL und war zuvor auch als Assistentin der Geschäftsführung und Leiterin des Vertriebsinnendienstes einer Bäckereikette mit über 250 Filialen, Geschäftsführerin eines Bildungsdienstleisters und als Personalberaterin und Trainerin aktiv.
Titelbild: Licence free via pixabay