Führungsqualität: Schlechte Führung wird hingenommen, solange die Zahlen stimmen

Schlechtes Führungsverhalten wird häufig toleriert, sofern dennoch die operativen Zahlen stimmen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Hochschule Osnabrück.

 

Die Studie von Prof. Carsten Steinert und Prof. Dominik Halstrup von der Fakultät für Wirtschaft- und Sozialwissenschaftlichen an der HS Osnabrück beschreibt eine erschreckende Geringschätzung vieler Geschäftsführungen gegenüber dem Thema Führungsqualität. Die Studie beruht auf der Befragung von 118 Entscheidungsträger deutscher Unternehmen (mit >400 MA). Sie legt offen, dass Führungsqualität zwar oft intern in irgend einer Form definiert ist und in 85%der befragten Unternehmen Führungsverhalten auch Bestandteil von Personalbeurteilungen ist. Allerdings gilt gleichzeitig, dass schlechtes Führungsverhalten bei mehr als 2/3 aller Befragten toleriert wird, solange das operative Ergebnis der entsprechenden Führungskraft in Ordnung ist.
Überhaupt haben Führungskräfte wegen schlechten Führungsverhaltens meist wenig zu fürchten. 82%der befragten Unternehmen gaben an, dass schlechtes Führungsverhalten kein Grund für eine Trennung von der entsprechenden Führungskraft sei.

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Fluktuationsrate ist oft gar kein Thema
Die von den jeweiligen Führungskräften zu verantwortende Personalfluktuation in ihren Bereichen oder Teams wird oft überhaupt nicht mit der Bewertung des Führungsverhaltens in Zusammenhang gebracht. Nur 17%der Zielvereinbarungen beziehen die Fluktuationsrate in die Bewertung des jeweiligen Führungserfolgs mit ein. Ein erschreckendes Ergebnis, welches offenbar Kurzfristigkeit den Vorzug gibt und heraufziehenden Fachkräftemangel oder „war for talents“ komplett ausblendet. Auch wird nur in 57%der Zielvereinbarungen die aktive „Förderung von Mitarbeitern“ als Führungsaufgabe mit aufgenommen. Ja, was sollte denn sonst Führungsaufgabe sein, wenn nicht das!?
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Ursachenforschung
Offenbar kommt es zu einer klaren Diskrepanz zwischen der geäußerten Bedeutung guten Führungsverhaltens (85%nehmen es als Kriterium für die Personalbeurteilung auf) und den tatsächlichen Konsequenzen im Falle schlechter Führungsqualität, insofern trotzdem die Zahlen stimmen (wurde von 2/3 der Befragten so bestätigt). Die Wissenschaftler erklären dieses inkonsequente Verhalten u.a. damit, dass für das Top-Management Führung keine wirklich wichtige Rolle spielt. Somit werde weder Führungsqualität systematisch vorgelebt noch systematisch auf deren Entwicklung bei nachgeordneten Führungskräften geachtet.
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Vergebene Chancen und mittelfristig fatale Folgen
Diese Ergebnisse klingen sicherlich ernüchtern für viele Personen, die in solchen Unternehmen arbeiten und sich tatsächlich um Führungsqualität kümmern, sei es als Führungskraft oder als Personaler. Allerdings zeigen diese Werte auch das enorme Potential an, welches im Thema Führungsqualität schlummert:
Unternehmen und Führungskräfte, welche das „nach mir die Sintflut“ Prinzip anwenden solange die Ergebnisse in Zahlen stimmen, werden dieses bei ein und dem selben Unternehmen immer weniger fortsetzen können. Ihnen werden nach und nach schlicht die guten Leute dafür fehlen, um weiter erfolgreich zu sein. Denn schlechtes Führungsverhalten ist eine sichere Ursache für Fluktuation, wie die Gallup Studien Jahr für Jahr beweisen. Gleichzeit erschweren zunehmender Fachkräftemangel und wachsende Transparenz durch Social Media Arbeitgeberbewertungsportale wie kununu, jobvoting oder meinchef die Fortsetzung von schlechter Führungsarbeit, da schlicht weniger gute Bewerber zur Verfügung stehen. Dies bedeutet mittel- bis langfristig für solche Unternehmen zusätzlich Kosten, Produktivitätseinbußen und Wissensverluste. Irgendwann wird nicht-konsequentes Verhalten gegenüber schlechter Führung sich zum finanziellen Bumerang entwickeln. Im Umkehrschluss profitieren diejenigen Unternehmen sehr zeitnah von guter Führungsqualität, nämlich allein schon durch die klare Differenzierung von den Arbeitsbedingungen und der realen Unternehmenskultur entsprechender Wettbewerber. Ein echtes Plus gerade auch im Personalmarketing…
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Was Unternehmen tun können
Was können Unternehmen konkret tun, um dem Thema Führungsqualität im eigenen Haus auf die Sprünge zu helfen? Wie wir aus der genannten Studie wissen interessieren sich die Top-Manager selbstverständlich alle für operative Zahlen. Insofern sollte wer auch immer das Thema Führungsqualität beim Top-Management platzieren möchte deren Sprache sprechen, also aussagekräftige Zahlen liefern. Es gilt in erster Linie die Auswirkungen von bspw. Fluktuation, nicht erreichten Top-Bewerbern, längeren Einstellungszeiten und Produktivitätsverlusten durch bspw. höhere Krankstände in Zahlen auszudrücken. Dabei sollten auch Vergleiche zwischen verantwortlichen Führungskräften angestellt werden. Diese Sprache hat gute Chancen bei der Geschäftsführung Gehör zu finden:
Wie wäre es wenn bspw. die Recruitingkosten, welche durch Fluktuation entstehen direkt entgegen dem Bereichsergebnis der verantwortlichen Führungskraft und anteilig zu Lasten von dessen Jahresbonus kalkuliert würden?

Nach einer Bewusstmachung auf Top-Management-Level, dass das Thema „Führung“ wertvoll und ergebnisrelevant (!) ist, sollte als zweiter Schritt eine Ursachenforschung eingeleitet werden. Nur ein Unternehmen welches sich selbst den Spiegel vorhalten kann (idealerweise mit neutraler, externer Unterstützung), wird es schaffen eine entsprechende Qualitätskultur in der Führung zu etablieren. Dies bedeutet Anstrengungen, aber es lohnt sich. Gute Beispiele gibt es einige. Nicht umsonst sind dies ganz häufig denjenigen Unternehmen, welche auch an der Spitze ihrer Branche stehen. Gute Führungsqualität ist letztlich ein wesentlicher Baustein zur mittel- und langfristigen Wettbewerbsfähigkeit – und diese sollte Top-Manager in jedem Fall interessieren.

6 Gedanken zu „Führungsqualität: Schlechte Führung wird hingenommen, solange die Zahlen stimmen

  1. Helge Weinberg

    Hallo @Christoph Athanas, ein sehr guter Beitrag! Für 80 Prozent der Unternehmen ist der demografische Wandel kein Thema, so meine These. Ein beliebtes Argument lautet: „Was soll die Panik, wir bekommen doch immer noch genug Leute“. Und da es immer noch genug Bewerber zu geben scheint, ist Mitarbeiterbindung eher zweitrangig. Und damit auch die Führungskultur. Warum Mitarbeiter binden, wenn es ausreichend Nachschub zu geben scheint? Und wenn einmal von Mitarbeiterbindung die Rede ist, dann spielt die Führungskultur keine dominante Rolle.

    Recruiting- und Fluktuationskosten gegenrechnen? Jetzt werden Sie aber utopisch ;-) Schön wärs, wenn diese Kosten mal einzelnen Führungskräften zugeordnet würden. Fakt ist leider, dass sich viele Unternehmen sehr wenige Gedanken über Recruitingkosten machen. Dafür gibt es gute Gründe, warum das nicht passiert. Und ja, natürlich ist Ihr Ansatz der richtige: dem Management die Kosten transparent machen. Einer Aussage Ihres Artikels möchte ich widersprechen: Nicht „nur“ 17 Prozent der Zielvereinbarungen beziehen die Fluktuationsrate mit ein. Sondern „immerhin“. Das lässt hoffen.

  2. Christian Kauke

    Hallo Herr Athanas,

    ich bin selber seit vielen Jahren Führungskraft uns seit diesem Jahr
    noch freiberuflicher Personal und Business Coach. Viele der
    Ausführungen in Ihrem Artikel kann ich absolut bestätigen. Leider ist
    es selbst in großen Unternehmen, die offizielle Leitfäden für
    Führungskräfte bereitstellen, Richtl inen für die Führungsqualität der
    Führungspersonen offerieren keine Selbstverständlichkeit, diese auch
    tatsächlich zu leben. Aus meiner Sicht besteht das größte Problem
    darin, dass die oberste Führungsriege diese Werte selber so gut wie
    gar nicht kennt, in der Personalentwicklung aber neue Führungskräft
    den modernen und auch humanitären Führungsstil erlernen sollen, dann
    aber an der gelebten Realität komplett scheitern müssen. Somit
    befindet sich das Ganze in einer Spirale in der nur Demotivation
    entsteht. Viele Grüße, Christian Kauke

  3. Christoph Athanas

    Hallo und Danke für die Rückmeldungen.

    @Helge Weinberg
    Ja, „irgendwie“ findet sich wohl in der Tat meist noch „irgendwelches“ Personal… Ich vermute, dass Ihre These im Grundsatz zutrifft und eine Reihe Unternehmen keine Mitarbeiterbindung explizit anstreben, sondern diese bestenfalls ganz gern hätten, eben nur ohne eigene Anstrengungen. Und wenn nicht dazu kommt, dann ist die Situation am Personalmarkt oft noch (!) nicht schlimm genug um etwas zu tun. Manchmal schafft erst echtes Leiden Handlungsbereitschaft… Außerdem stellen anscheinend so manche den Bezug von Führungskultur und Vorbildfunktion von Top-Führungskräften zu Mitarbeiterbindung und Unternehmenskultur nicht her…
    Zu meinem Vorschlag: Ja, etwas „Utopie“ muss doch sein dürfen ;-) Ich finde es wichtig, dass Blogger/ Berater neben dem „Finger in die Wunde legen“ auch immer wieder Lösungsidee anstoßen/ aufzeigen.

    @Christian Kauke
    Viele Dank für diese Rückmeldung aus Ihrer persönlichen Erfahrung.
    Ich denke Sie liegen richtig, wenn Sie sagen, dass offizielle Führungsleitlinien etc. zwar Qualität definieren, aber lange noch nicht sicherstellen, dass diese auch gelebt wird. Das ist auch häufig meine Beobachtung. Es schließt sich genau das von Ihnen beschriebene Phänomen an, nämlich dass die Top-Riege sich um diese Führungskultur zu wenig kümmert und dann ein Bruch zum Mittelmanagement entsteht (fehlende Vorbildfunktion, genau wie es auch die Wissenschaftler in der Studie beschreiben). Daher ist Werte-/Marken-/ Kulturarbeit immer ein Thema was in Unternehmen von ganz oben getrieben werden sollte…
    Frage: Was kann eine Führungskraft im mitteleren Management tun um trotz solcher Umstände nicht zu scheitern oder in die von Ihnen genannte Abwärtsspirale zu gelangen?

  4. Gudrun Happich

    Hallo Herr Athanas,
    ein sehr interessanter Beitrag und ein erschreckendes Ergebnis! Als Coach für Führungskräfte interessiert mich vor allem die Frage: Wie kommt es zu der schlechten Qualität von Führung? In der Praxis zeigen sich erste starke Konflikte schon beim Wechsel in eine Führungsposition.
    Ein Beispiel: „Ich war einer der Besten im Team, als man mich beförderte. Natürlich war ich stolz und freute mich auf die Herausforderung. Doch dann ist mir in kürzester Zeit alles entglitten. Bei meinem Wechsel sagte ein Kollege zu mir: »Mensch, Richard, ich bewundere deinen Löweninstinkt«. Heute fühle ich mich zahnlos – wie ein Papiertiger.“ Das ist ein klassischer O-Ton aus dem Coaching. Viele Führungskräfte reiten auf der Welle des Erfolgs, wenn Sie im Unternehmen aufsteigen und eine neue Rolle übernehmen, und geraten schnell ins Straucheln, wenn sie in der angestrebten Position angelangt sind. Denn: Mit den Herausforderungen, die die neue Position mit sich bringt, sind sie weitgehend allein gelassen. In einer Studie des DDI (http://www.ddiworld.com/DDIWorld/media/trend-research/globalleadershipforecast2011_globalreport_ddi.pdf, S. 45) gaben gerade einmal 53 Prozent der Befragten an, mit dem zufrieden zu sein, was ihnen ihre Organisation zur Entwicklung von Führungsqualitäten bietet.
    Wenn Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht hinreichend auf die Rolle der Führungskraft vorbereiten, ist es schwierig bis unmöglich eine „Qualitätskultur in der Führung zu etablieren“. Wer trägt dann die Verantwortung für die Kraft der Führung? Wird mangelhafte Qualität geduldet, weil sie nicht vorwerfbar ist? Die Fragen muss sich wohl jedes Unternehmen selbst beantworten.

    Herzliche Grüße, Gudrun Happich

  5. Christoph Athanas

    Liebe Frau Happich,
    danke für Ihren Beitrag. Sie treffen einen wichtigen Punkt: Viele Unternehmen handeln nicht sorgfältig und umsichtig beim Vorbereiten von neuen Führungskräften. Die mangelnde Unterstützung ist es einerseits. Andererseits ist die häufig fragwürdig (interne) Auswahl von Führungsnachwuchs eine Ursache. Noch zu oft werden die besten Fachleute befördert. Diese sind dann aber nicht auch automatisch die besten Führungskräfte…

    Die von Ihnen genannte DDI Studie kenne ich übrigens. Ich hatte dazu hier im Blog vor einigen Monaten einen kleinen Bericht inkl. Videobeitrag, zu sehen unter: https://blog.metahr.de/2011/03/01/womit-junge-fuehrungskraefte-zu-kaempfen-haben/

    Beste Grüße.

  6. Taiber Roger

    Habe gerade mit Interesse Ihren Beitrag zur Mitarbeiterbeurteilung gelesen. Vor allem der Leistungsfragebogen kann Probleme bereiten. Auch wir haben uns kritisch mit dem Beurteilungsbogen für Mitarbeiter auseinander gesetzt http://www.taiber-unternehmensberatung.de/mitarbeitergespraech-mitarbeiterbeurteilung-personalbewertung/

    Vor allem bei Teamarbeit wird eine Mitarbeiterbeurteilung immer schwieriger. Hat übrigens Spaß gemacht auf Ihrer Webseite Berichte zu lesen. Diese sind ansprechend, leicht lesbar geschrieben.

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